In einer Welt, die von smarter Technologie und ständiger Vernetzung geprägt ist, zeichnet sich ein überraschender Gegentrend ab: Immer mehr Menschen gestalten ihr Zuhause bewusst „dumm“ und wenden sich analogen Aktivitäten zu. Statt sprachgesteuerter Assistenten und vernetzter Geräte gewinnen Leseecken, Festnetztelefone und Hobbys ohne Bildschirm an Bedeutung.
Dieser Wandel ist mehr als nur Nostalgie. Er spiegelt ein wachsendes Bedürfnis nach Ruhe, Kontrolle und einer bewussten Abkehr von der digitalen Dauerüberwachung wider. Experten sehen darin eine Bewegung hin zu einem Zuhause, das als echter Rückzugsort dient und nicht als Erweiterung des digitalen Arbeitsplatzes.
Wichtige Erkenntnisse
- Ein neuer Trend zeigt eine bewusste Abkehr von Smart-Home-Technologien hin zu einem einfacheren, analogen Wohnumfeld.
- Die Nachfrage nach analogen Rückzugsorten wie Leseecken ist laut Immobiliendaten im letzten Jahr um 48 % gestiegen.
- Hintergrund ist das wachsende Unbehagen gegenüber einer Technologie, die ständig zuhört und arbeitet, was zu Angstgefühlen führen kann.
- Selbst Festnetztelefone erleben eine kleine Renaissance, insbesondere bei Eltern, die die Bildschirmzeit ihrer Kinder begrenzen möchten.
Das Zuhause als digitaler Rückzugsort
Das Versprechen des Smart Homes war einst Bequemlichkeit und Effizienz. Licht per Sprachbefehl steuern, den Kühlschrank den Einkaufszettel schreiben lassen – die Vision eines vollautomatisierten Lebens schien verlockend. Doch für eine wachsende Zahl von Menschen hat sich diese Vision in eine Quelle von Stress verwandelt.
„Menschen erschaffen sich ‚dumme Häuser‘“, erklärt Beth McGroarty, Vizepräsidentin für Forschung am Global Wellness Institute. Sie beobachtet einen klaren Trend, bei dem Technologie bewusst reduziert wird, um mentale Freiräume zu schaffen. Ein Zuhause, in dem die Technik ständig im Hintergrund lauscht und agiert, wird zunehmend als beunruhigend empfunden.
Der Architekt Yan M. Wang bestätigt diese Beobachtung. Ein solches Umfeld könne „Angst auslösen“, anstatt die erhoffte Erholung zu bringen. Das Ziel sei es, einen Raum zu schaffen, der wirklich privat ist und in dem man die Kontrolle behält, anstatt sich von Algorithmen und Sensoren steuern zu lassen.
Statistiken zeigen den Wandel
Dieser Trend lässt sich bereits auf dem Immobilienmarkt ablesen. Laut dem „2026 Home Trends Report“ von Zillow werden Leseecken in Immobilienanzeigen 48 % häufiger erwähnt als noch vor einem Jahr. Dies deutet auf eine steigende Nachfrage nach Orten für „unvernetzte Entspannung“ hin.
Besonders im Luxussegment wird die Abkehr von smarter Technik deutlich. In wohlhabenden Gegenden wie Los Angeles meiden Käufer zunehmend Häuser mit WLAN-fähigen und sprachaktivierten Geräten. Sie möchten bewusst der milliardenschweren Heimautomatisierungsindustrie entkommen und ein einfacheres Wohngefühl genießen.
Was ist ein „Dumb Home“?
Ein „Dumb Home“ oder „analoges Zuhause“ ist kein technofeindliches Konzept. Es geht vielmehr um eine bewusste Auswahl von Technologie. Statt eines voll vernetzten Ökosystems werden nur die Geräte genutzt, die einen klaren, nicht-invasiven Nutzen bieten. Der Fokus liegt auf manueller Steuerung, Langlebigkeit und der Reduzierung von digitalen Ablenkungen und potenziellen Datenlecks.
Die Renaissance analoger Gewohnheiten
Die Bewegung beschränkt sich nicht nur auf die eigenen vier Wände. Sie erfasst auch den Alltag und die Freizeitgestaltung. Millennials und die Generation Z, die mit dem Internet aufgewachsen sind, suchen aktiv nach Wegen, um ihre Bildschirmzeit zurückzugewinnen.
Ein Beispiel dafür ist die sogenannte „Stop-Scrolling-Tasche“. Dabei handelt es sich um eine einfache Tasche, gefüllt mit analogen Beschäftigungen wie Aquarellfarben, Kreuzworträtseln, einem Buch oder einem Notizblock. Die Idee ist, eine bewusste Alternative zum reflexartigen Griff zum Smartphone zu schaffen, wenn man unterwegs ist oder Wartezeiten überbrücken muss.
Das Festnetztelefon ist zurück
Obwohl es landesweit eine Seltenheit bleibt, hat das klassische Festnetztelefon neue Anhänger gefunden. Viele Eltern entscheiden sich dafür, um ihren Kindern eine Kommunikationsmöglichkeit ohne den Zugang zum Internet und zu sozialen Medien zu bieten. Es ist ein kontrollierter Weg, um erreichbar zu sein, ohne die Ablenkungen eines Smartphones.
Trotz dieses Nischentrends bleibt das Mobiltelefon dominant. Eine landesweite Erhebung Ende 2024 ergab, dass rund 79 % der Erwachsenen und 87 % der Kinder in Haushalten lebten, die ausschließlich über schnurlose Telefone verfügten. Das Festnetz ist also eher ein bewusstes Statement als ein Massenphänomen.
Ein gespaltener Markt: Tech-Zentren bleiben smart
Während der Trend zum analogen Leben an Fahrt gewinnt, ist er nicht überall gleichermaßen stark ausgeprägt. Experten gehen davon aus, dass Smart-Home-Funktionen in technologielastigen Märkten wie San Francisco oder Austin, Texas, weiterhin ein wichtiges Verkaufsargument bleiben und den Wert von Immobilien sogar steigern könnten.
In diesen Regionen ist die Affinität zur Technologie tief in der Kultur verwurzelt, und die Vorteile der Vernetzung werden oft höher bewertet als die potenziellen Nachteile. Es entwickelt sich also ein gespaltener Markt: Auf der einen Seite stehen Käufer, die für digitale Abstinenz bezahlen, auf der anderen Seite jene, die weiterhin auf eine maximale technologische Integration setzen.
„Ein Zuhause, in dem Technologie immer im Hintergrund arbeitet und zuhört, fühlt sich angstauslösend an, anstatt erholsam zu sein.“ - Yan M. Wang, Architekt
Was bedeutet das für die Zukunft?
Die wachsende Beliebtheit des „dummen Zuhauses“ deutet auf einen breiteren gesellschaftlichen Wandel hin. Nach Jahren der unreflektierten Technologie-Adoption beginnt eine Phase der bewussten Auseinandersetzung. Verbraucher fragen sich zunehmend, welche Technologien ihr Leben wirklich verbessern und welche eher zu Stress, Ablenkung und einem Gefühl des Kontrollverlusts beitragen.
Es geht nicht darum, Technologie komplett zu verbannen, sondern darum, sie gezielter und menschlicher einzusetzen. Das Zuhause der Zukunft könnte ein hybrider Raum sein: Einer, der smarte Helfer für Effizienz nutzt, aber gleichzeitig bewusste analoge Zonen für Ruhe und Konzentration schützt. Der wahre Luxus liegt dann nicht mehr in der totalen Vernetzung, sondern in der Freiheit, selbst zu entscheiden, wann man online und wann man offline ist.





