Auf dem angespannten Mietmarkt in Großbritannien zeichnet sich ein besorgniserregender Trend ab: Immer mehr Wohnungen, insbesondere in Wohngemeinschaften, werden ohne gemeinschaftliches Wohnzimmer angeboten. Eine aktuelle Analyse zeigt, dass fast ein Drittel der zur Miete ausgeschriebenen Zimmer in der ersten Jahreshälfte über keinen solchen Gemeinschaftsraum verfügte. Für Mieter bedeutet dies oft eine bewusste Entscheidung zwischen Kostenersparnis und Lebensqualität.
Das Wichtigste in Kürze
- Fast 30 % der Anzeigen für WG-Zimmer in Großbritannien betrafen Wohnungen ohne Wohnzimmer.
- In Metropolen wie London steigt dieser Anteil sogar auf 41 %.
- Vermieter wandeln Wohnzimmer in zusätzliche Schlafzimmer um, um höhere Hypothekenzinsen zu decken.
- Mieter akzeptieren den fehlenden Gemeinschaftsraum, um Miete zu sparen, riskieren aber soziale Isolation.
Ein wachsendes Phänomen auf dem Mietmarkt
Die Zahlen, die von der Wohnungsplattform SpareRoom erhoben wurden, verdeutlichen eine signifikante Veränderung der Wohnkultur. Landesweit waren 30 % der Inserate für Zimmer in Wohngemeinschaften ohne ein ausgewiesenes Wohnzimmer. Dieser Trend ist in Großstädten besonders ausgeprägt. In London betraf dies 41 % der Anzeigen, während in Birmingham der Anteil in den letzten fünf Jahren von 16 % auf 22 % anstieg.
Diese Entwicklung beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Studentenunterkünfte. Zunehmend sind auch junge Berufstätige in ihren Zwanzigern und Dreißigern mit dieser Realität konfrontiert. Der Mangel an verfügbarem Wohnraum und stetig steigende Kosten zwingen viele zu Kompromissen.
Hintergrund: Der Druck auf dem Mietmarkt
Die Situation wird durch wirtschaftliche Faktoren verschärft. Offizielle Statistiken zeigen, dass die durchschnittlichen privaten Mieten in Großbritannien im Jahresvergleich um 5,5 % auf 1.354 Pfund pro Monat gestiegen sind. Gleichzeitig kommen laut Daten von Rightmove auf jede verfügbare Mietimmobilie durchschnittlich zehn potenzielle Mieter. Dieser immense Wettbewerb gibt Vermietern einen größeren Spielraum bei der Gestaltung ihrer Angebote.
Die Perspektive der Mieter: Sparen auf Kosten der Gemeinschaft
Für viele Mieter ist die Entscheidung für eine Wohnung ohne Wohnzimmer eine rein finanzielle. Ella Murray, eine 22-jährige Musicaldarstellerin in London, teilt sich mit drei anderen eine solche Wohnung. Die monatliche Miete von 3.000 Pfund wird je nach Zimmergröße aufgeteilt. „In dieser Phase meines Lebens bin ich nicht bereit, mehr Geld für mehr Platz auszugeben“, erklärt sie.
Die Küche mit einem Esstisch ist zum zentralen Treffpunkt geworden. „Wir haben eine anständige Küche mit einem Esstisch, wo wir uns stattdessen aufhalten. Wir würden definitiv mehr zusammen unternehmen, wenn wir ein Wohnzimmer hätten“, fügt sie hinzu. Unter ihren Freunden in London sei diese Wohnform inzwischen die Norm.
Zwischen Küchentisch und Isolation
Auch die 26-jährige Hannah Carney lebt in einer Wohnung ohne Wohnzimmer und berichtet, dass sie seit ihrem 18. Lebensjahr nie eine Mietwohnung mit einem solchen Raum hatte. Sie vermisst einen „entspannten Ort, der sozial ist“. Das Fehlen eines solchen Raumes führt ihrer Meinung nach dazu, dass sie und ihre Mitbewohner mehr Geld für Restaurantbesuche und Drinks ausgeben, anstatt gemütliche Abende zu Hause zu verbringen.
„Ich wünschte, es wäre die Norm, dass alle Immobilien einen Gemeinschaftsbereich haben, aber ich weiß, dass das nicht realistisch ist“, sagt sie. Für Filmabende müssen sie und ihre Mitbewohnerin auf einen kleinen Abstellraum ausweichen, der auch zum Wäscheaufhängen dient.
Wohnzimmerverlust in Zahlen
- Großbritannien: 30 % der WG-Anzeigen ohne Wohnzimmer
- London: 41 % der WG-Anzeigen ohne Wohnzimmer
- Birmingham: Anstieg von 16 % (2020) auf 22 %
Quelle: Analyse von SpareRoom für die erste Hälfte des Jahres.
Vermieter unter Druck: Wirtschaftliche Zwänge als Treiber
Aus Sicht der Vermieter ist die Umwandlung eines Wohnzimmers in ein zusätzliches Schlafzimmer eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Steigende Hypothekenzinsen und andere Betriebskosten setzen Eigentümer unter Druck. Ein zusätzliches Zimmer ermöglicht es ihnen, die Gesamteinnahmen aus einer Immobilie zu erhöhen und so die gestiegenen Ausgaben zu decken.
Chris Norris vom Nationalen Verband der Wohnungsvermieter (NRLA) sieht die Ursache des Problems in einem grundlegenden Mangel an Mietwohnungen. „Die Wurzel der Herausforderungen liegt darin, dass es zu wenige Mietwohnungen gibt, um die Nachfrage zu decken“, so Norris. Er erklärt, dass einige Vermieter auf Mehrfachbelegung umsteigen, damit ihre Geschäftsmodelle rentabel bleiben.
„Angesichts steigender Kosten und der Erwartung geringerer Margen werden einige Vermieter sicherlich prüfen, wie sie ihre Investitionen am effizientesten nutzen können.“
Langfristige soziale Folgen und Expertenwarnungen
Experten warnen vor den sozialen Konsequenzen dieses Trends. Das Wohnzimmer ist traditionell der Ort, an dem soziale Bindungen innerhalb einer Wohngemeinschaft geknüpft und gepflegt werden. Fällt dieser Raum weg, verbringen die Bewohner mehr Zeit allein in ihren Zimmern, was das Risiko von Einsamkeit und sozialer Isolation erhöht.
Matt Hutchinson, Direktor von SpareRoom, betont die Bedeutung von Gemeinschaftsräumen. „Wir haben so viele Nachrichten von Menschen erhalten, die ihre besten Freunde und Partner in Wohngemeinschaften kennengelernt, Familien gegründet oder Unternehmen gestartet haben“, sagt er. „Solche Geschichten werden seltener werden, wenn gemeinschaftliche, gesellige Räume in den Wohnungen nicht geschützt werden. Leider ist Einsamkeit alarmierend verbreitet.“
Während Mieter kurzfristig Geld sparen, könnte der Verzicht auf ein Wohnzimmer langfristig höhere soziale und emotionale Kosten verursachen. Der Trend wirft ein Schlaglicht auf die wachsenden Herausforderungen, denen sich Mieter und Vermieter in einem überhitzten Immobilienmarkt gegenübersehen.





