Ein wachsender Trend zeichnet sich in der digitalen Welt ab: Nutzer wenden sich von großen, allumfassenden sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram und X ab. Stattdessen suchen sie gezielt nach kleineren, spezialisierten Online-Communitys, die sich auf ihre spezifischen Interessen und Hobbys konzentrieren. Diese Entwicklung signalisiert eine grundlegende Veränderung im Nutzerverhalten – weg von der endlosen Flut an Inhalten hin zu tiefergehenden, authentischen Verbindungen.
Start-ups und Investoren reagieren auf diesen Wandel, indem sie Plattformen entwickeln, die nicht mehr auf maximale Reichweite, sondern auf die Qualität der Interaktion innerhalb einer Nische abzielen. Experten sehen darin die Zukunft der sozialen Medien, in der nicht mehr eine einzige App dominiert, sondern viele kleine Netzwerke nebeneinander existieren.
Wichtige Erkenntnisse
- Nutzer bevorzugen zunehmend spezialisierte Online-Communitys gegenüber großen, allgemeinen Plattformen.
- Der Fokus verschiebt sich von passiver Inhaltskonsumierung („Performance“) hin zu aktiver Teilnahme („Participation“).
- Neue Plattformen wie Lore, Spill und Blacksky bedienen gezielt Nischeninteressen und bieten sicherere Räume für ihre Mitglieder.
- Investoren und Gründer sehen die Zukunft in der „Tiefe“ der Verbindungen, nicht in der „Breite“ der Nutzerzahlen.
- Künstliche Intelligenz spielt eine entscheidende Rolle bei der Schaffung personalisierter und relevanter Community-Erlebnisse.
Der Wandel im Nutzerverhalten
Zehra Naqvi, Gründerin des Unternehmens Lore, erinnert sich an die Anfänge des sozialen Internets. In den frühen 2010er-Jahren wuchs sie in den Fandoms von One Direction und Marvel auf – einer Zeit, in der Plattformen wie Twitter noch ein Ort für Witze und kulturellen Austausch waren. Doch das hat sich geändert.
„Die Plattformen, die gewonnen haben, waren diejenigen, die die Leute am längsten am Scrollen hielten, nicht diejenigen, die ihnen das Gefühl gaben, am besten vernetzt zu sein“, erklärte Naqvi gegenüber TechCrunch. Sie fügte hinzu: „Jetzt gibt es eine Fülle von Inhalten, aber einen Mangel an Freude.“
Diese Wahrnehmung spiegelt ein breiteres Gefühl der Ermüdung wider. Viele Nutzer sind des „Doomscrollings“ und der performativen Inhalte überdrüssig geworden, die auf großen Plattformen dominieren. Laut Claire Wardle, einer Professorin an der Cornell University, die Informationsökosysteme erforscht, sind die Tage großer, verallgemeinernder Seiten wie Facebook vorbei.
Von der Reichweite zur Relevanz
Der Trend geht klar in Richtung Nischen. Anstatt sich in einem Meer aus irrelevanten Informationen zu verlieren, suchen Nutzer nach Orten, an denen sie sich mit Gleichgesinnten über spezifische Themen austauschen können – sei es eine Fernsehserie, ein Hobby oder eine gemeinsame kulturelle Identität.
„In Nischenräumen haben die Menschen die Erlaubnis, spezifisch zu sein und sich als ihr ganzes Selbst zu zeigen, ohne im Algorithmus verloren zu gehen“, so Naqvi.
Dieser Wandel wird auch von Investoren wahrgenommen. Natalie Dillon, eine Investorin bei der Risikokapitalfirma Maveron, beobachtet eine wachsende Zahl von Gründern, die interessenbasierte Netzwerke aufbauen. „Im Kern treibt das Verbraucherverhalten eine Verlagerung von der Performance zur Partizipation voran“, sagte Dillon.
Was sind interessenbasierte Netzwerke?
Im Gegensatz zu traditionellen sozialen Netzwerken, die auf dem sozialen Graphen einer Person (Freunde, Familie, Kollegen) basieren, bauen interessenbasierte Netzwerke auf gemeinsamen Hobbys und Leidenschaften auf. Beispiele sind Apps wie Beli zum Teilen von Restaurantempfehlungen, Fizz für College-Studenten oder Co-Star für Astrologie-Fans. Hier steht das gemeinsame Interesse im Mittelpunkt, nicht die bereits bestehende persönliche Verbindung.
Neue Plattformen für spezifische Zielgruppen
Die neue Welle sozialer Medien bringt eine Vielzahl von Plattformen hervor, die gezielt auf die Bedürfnisse bestimmter Communitys zugeschnitten sind. Diese Apps verstehen, dass „Community“ nicht nur eine Funktion, sondern das eigentliche Produkt ist.
Lore: Ein Zuhause für Fandoms
Zehra Naqvis Unternehmen Lore ist ein Paradebeispiel für diesen Trend. Die Website ist als Suchmaschine konzipiert, die es Fans ermöglicht, tief in die Welt ihrer Lieblingsserien, -filme oder -bücher einzutauchen. Lore bietet interaktive Erlebnisse, verknüpft Fantheorien, liefert kulturellen Kontext und zeigt Easter Eggs auf. „Einer unserer ersten Tester sagte es am besten: ‚Es ist wie Wikipedia – aber wenn Wikipedia genau wüsste, was ich denke‘“, berichtet Naqvi.
Spill und Blacksky: Sichere Räume für marginalisierte Gruppen
Andere Plattformen konzentrieren sich darauf, sichere und unterstützende Umgebungen zu schaffen. Spill, gegründet von Alphonzo Terrell, wurde zu einem Zufluchtsort für viele schwarze Nutzer, die X aufgrund des zunehmenden Extremismus verließen. Die App verbindet Nutzer aktiv mit Communitys, die ihren Interessen entsprechen, wie zum Beispiel Gruppen für Fans der Frauen-Basketball-Liga WNBA.
Community-Engagement bei Spill
Spill integriert Spiele wie Spades, ein fester Bestandteil der schwarzen Community in den USA, und veranstaltet in Partnerschaft mit Netflix und Amazon sogenannte „Tea Parties“. Dabei können Nutzer gemeinsam Filme und Sportereignisse direkt in der App ansehen und kommentieren.
Ein ähnliches Ziel verfolgt Blacksky, gegründet von Rudy Fraser. Die Plattform basiert auf demselben dezentralen Protokoll wie Bluesky, richtet sich aber gezielt an Minderheiten und marginalisierte Personen. Ein spezieller Algorithmus ermöglicht es den Nutzern, rassistische Belästigungen und andere unerwünschte Inhalte vollständig aus ihrer Timeline zu filtern.
„Manchmal braucht man eine globale Bühne. Manchmal will man aber auch nur eine gemütliche Ecke mit engen Internetfreunden, in der man kontrollieren kann, wer was sieht“, erklärte Fraser.
Die Rolle von Technologie und Investoren
Die Entwicklung hin zu Nischen-Communitys wird durch technologische Fortschritte und ein Umdenken bei Investoren vorangetrieben. Insbesondere Künstliche Intelligenz (KI) spielt eine zentrale Rolle.
KI als Motor für Personalisierung
Austin Clements, geschäftsführender Partner bei der Firma Slauson & Co., sieht, wie Gründer KI nutzen, um Apps zu entwickeln, die Nuancen so gut verstehen, dass sie über einfache Nischennetzwerke hinausgehen und maßgeschneiderte Erlebnisse schaffen.
„Die neueren Anwendungen sind nativ für die Nische selbst gebaut, was es ihnen ermöglicht, die Werkzeuge und Funktionen zu schaffen, die für diese Nische am relevantesten sind“, sagte er. Auch Naqvis Produkt Lore nutzt ein KI-Tool, um personalisierte Wissensgraphen und Updates zu den „Obsessionen“ der Nutzer zu erstellen.
Investoren setzen auf Tiefe statt Breite
Die Erkenntnis, dass Tiefe wichtiger ist als Breite, hat auch die Investment-Community erreicht. Anstatt auf das „nächste große Ding“ zu setzen, das alle anderen ersetzt, erkennen viele, dass die Zukunft in einem Ökosystem aus vielen kleineren, aber hoch engagierten Plattformen liegt.
„Die nächste Ära der sozialen Medien dreht sich nicht um die größten Follower-Zahlen. Es geht um Tiefe; darum, Menschen zu helfen, ihre Leute zu finden.“ - Alphonzo Terrell, Gründer von Spill
Dani Tran, eine Principal bei BITKRAFT Ventures, sieht diesen Trend besonders im Gaming-Bereich. Sie nennt Superbloom als Beispiel, ein Gaming-Studio, das sich auf unterrepräsentierte Zielgruppen konzentriert.
Ausblick auf die Zukunft sozialer Interaktion
Die Zukunft der sozialen Medien wird wahrscheinlich weniger wie ein riesiger Marktplatz und mehr wie ein Verbund aus vielen spezialisierten Clubs aussehen. Der Fokus liegt auf Interaktivität und gemeinsamer Gestaltung.
Emily Herrera, eine Investorin, die bei Slow Ventures tätig war, stellt fest, dass Content Creator zunehmend zu Community-Buildern werden. Statt nur Inhalte zu senden, schaffen sie eigene Umgebungen, wie zum Beispiel durch Newsletter, in denen sie als Eigentümer agieren.
Natalie Dillon von Maveron fasst die erwartete Entwicklung zusammen: „Die Gewinner werden die Plattformen sein, die Intimität, Nutzen und Kreativität in einem Ökosystem vereinen.“ Sie prognostiziert, dass diese neuen Netzwerke sich eher wie „Multiplayer-Umgebungen anfühlen, in denen Menschen gleichzeitig bauen, kaufen und zugehören können.“
Letztendlich geht es darum, den ursprünglichen Spaß und die Freude an der Online-Vernetzung wiederzuentdecken. Wie Zehra Naqvi es formuliert, wollen die Menschen „Werkzeuge, die ihnen helfen, sich daran zu erinnern, warum es überhaupt Spaß gemacht hat, online zu sein.“





