OpenAI hat mit Atlas einen neuen Webbrowser für macOS veröffentlicht, der die künstliche Intelligenz von ChatGPT tief in das Surferlebnis integrieren soll. Eine seitlich angedockte KI verspricht, Webseiten zu analysieren und Nutzern zu assistieren. Erste praktische Tests zeigen jedoch ein gemischtes Bild: Die Funktionalität erweist sich oft als unzuverlässig und wirft zudem Fragen zum Umgang mit privaten Daten auf.
Ein Browser, der auf KI setzt
Der Atlas-Browser von OpenAI basiert auf Chromium, der gleichen Open-Source-Grundlage wie Google Chrome, Opera und Microsoft Edge. Optisch unterscheidet er sich kaum von Chrome, was den Umstieg für viele Nutzer einfach gestalten dürfte. Das zentrale Alleinstellungsmerkmal ist die „Ask ChatGPT“-Sidebar, eine Leiste am rechten Bildschirmrand, die permanenten Zugriff auf den KI-Chatbot bietet.
Diese Funktion soll den Browser von der Konkurrenz abheben. Laut Ryan O’Rouke, dem leitenden Designer bei OpenAI, lädt man mit der Sidebar „ChatGPT in seine persönliche Ecke des Internets ein“. Die KI kann den Inhalt der aktuell geöffneten Webseite sehen und analysieren, um beispielsweise Zusammenfassungen zu erstellen, Code zu erklären oder Fragen zum Kontext zu beantworten. Die Nutzung dieser Sidebar ist kostenlos, während erweiterte Funktionen wie der „Agent Mode“, der automatisch Aktionen auf Webseiten ausführen kann, Abonnenten von ChatGPT Plus und Pro vorbehalten sind.
Was ist Chromium?
Chromium ist ein von Google initiiertes Open-Source-Projekt, das den Quellcode für Webbrowser bereitstellt. Viele bekannte Browser, darunter Google Chrome, Microsoft Edge und Opera, nutzen diese Codebasis. Das bedeutet, dass sie in ihrer grundlegenden Funktionsweise und ihrem Erscheinungsbild oft sehr ähnlich sind. Für OpenAI bedeutet die Nutzung von Chromium, dass sie nicht bei null anfangen mussten und sich auf die Integration ihrer KI-Funktionen konzentrieren konnten.
Ernüchternde Ergebnisse im Praxistest
Trotz des vielversprechenden Konzepts offenbart der Atlas-Browser in der Praxis erhebliche Schwächen. Die ständige Präsenz der KI-Sidebar erweist sich nicht immer als Vorteil. Sie verkleinert den Anzeigebereich der eigentlichen Webseite, was bei einigen Layouts zu Darstellungsfehlern führt und das Leseerlebnis beeinträchtigt.
Auch die Qualität der KI-Antworten lässt oft zu wünschen übrig. Bei der Suche nach einem neuen Videospiel auf der Xbox-Webseite lieferte ChatGPT generische und wenig personalisierte Vorschläge, obwohl der Chatbot über eine lange Historie an Interaktionen mit dem Nutzer verfügte. Ähnlich enttäuschend war der Versuch, sich bei der Priorisierung von E-Mails im Posteingang helfen zu lassen: Die KI schlug vor, eine bereits beantwortete Nachricht zu bearbeiten.
Geplante Verbesserungen
OpenAI hat angekündigt, den Atlas-Browser weiterzuentwickeln. Zukünftige Updates sollen Funktionen wie Tab-Gruppen und einen integrierten Werbeblocker bringen, um ihn zu einem vollwertigen Konkurrenten für etablierte Browser zu machen.
Ein aufdringlicher Reiseführer
In vielen Situationen wirkt die KI weniger wie ein intelligenter Assistent, sondern eher wie ein übereifriger und unzuverlässiger Reiseführer. Bei der Recherche zu einem Kinofilm auf der Bewertungsseite Rotten Tomatoes war die von ChatGPT erstellte Zusammenfassung der Kritiken zu lang und umständlich, um einen schnellen Überblick zu ermöglichen. Das manuelle Durchsehen der Nutzerrezensionen erwies sich als deutlich effizienter.
Die Interaktionen fühlen sich oft schwerfällig an. Nutzer berichten, dass es ihnen schwerfiel, überhaupt sinnvolle Fragen zu finden, die sie der KI über die angezeigte Webseite stellen könnten. Statt den Prozess zu vereinfachen, fügt die Sidebar eine zusätzliche Ebene der Komplexität hinzu, die den natürlichen Fluss des Surfens unterbricht.
Datenschutzbedenken nach widersprüchlichen Aussagen
Besonders alarmierend ist ein Vorfall, der gravierende Fragen zum Datenschutz aufwirft. Bei der Nutzung des sozialen Netzwerks Bluesky wurde die KI gebeten, Trends im öffentlichen Feed zu analysieren. In diesem Zusammenhang fragte der Nutzer, was passieren würde, wenn er seine privaten Direktnachrichten (DMs) öffnen würde.
„Das Öffnen deiner DMs wird mir nichts preisgeben – ich werde die Seite einfach nicht mehr ‚sehen‘, bis du zu einer öffentlichen Ansicht zurückkehrst“, lautete die ursprüngliche Antwort von ChatGPT.
Diese Zusicherung erwies sich jedoch als falsch. Nachdem der Nutzer eine private Nachricht mit einer Einladung zu einer Veranstaltung öffnete und die KI gezielt danach fragte, konnte der Chatbot Details aus der Konversation wiedergeben, einschließlich Informationen über den Absender. Die KI hatte also eindeutig Zugriff auf den Inhalt der privaten Nachricht.
Eine nachträgliche Erklärung
Auf Nachfrage, warum die KI entgegen ihrer vorherigen Aussage doch auf die Daten zugreifen konnte, änderte der Chatbot seine Erklärung:
„Ich habe keinen Zugriff auf deine privaten Nachrichten oder Kontodaten, es sei denn, du fügst diesen Text explizit in den Chat ein oder zeigst ihn mir. Indem du gefragt hast ‚Wozu war das eine Einladung?‘, wurde vorübergehend ein Teil des Nachrichtenkontexts an die Oberfläche gebracht, damit ich deine Frage beantworten konnte.“
Diese widersprüchlichen Aussagen sind besorgniserregend. Die erste Antwort scheint ein Beispiel für eine KI-„Halluzination“ zu sein – eine Falschaussage, die von generativen KI-Modellen häufig produziert wird. Die zweite Erklärung beschreibt zwar eher die tatsächliche Funktionsweise, verdeutlicht aber, dass die KI sehr wohl private Inhalte verarbeiten kann, sobald der Nutzer damit interagiert. Dies untergräbt das Vertrauen in die Datenschutzversprechen des Systems.
Fazit: Eine Idee mit unzureichender Umsetzung
Der Atlas-Browser von OpenAI versucht, das Surfen im Internet durch eine tiefe KI-Integration neu zu definieren. Die Idee, einen intelligenten Begleiter direkt im Browser zu haben, ist reizvoll. Die aktuelle Umsetzung leidet jedoch unter einer unzuverlässigen und oft banalen KI, einer unpraktischen Benutzeroberfläche und ernsthaften Datenschutzbedenken.
Für viele Nutzer dürfte die KI-Sidebar eher eine Ablenkung als eine Hilfe sein. Die Erfahrung zeigt, dass ein vollflächiges, ungestörtes Interneterlebnis oft vorzuziehen ist. Bis OpenAI die grundlegenden Probleme bei der Zuverlässigkeit und dem Datenschutz gelöst hat, bleibt Atlas ein interessantes Experiment, aber keine ernsthafte Alternative zu etablierten Browsern. Der digitale Reiseführer verirrt sich noch zu oft auf seinem eigenen Weg.





