Einem Entwickler ist es gelungen, den Linux-Kernel auf WebAssembly zu portieren, wodurch das Betriebssystem nun direkt in einem Webbrowser ausgeführt werden kann. Das Projekt, das als Technologiedemonstration dient, zeigt das Potenzial, komplexe Systemsoftware in reiner Webumgebung laufen zu lassen, steht aber noch vor erheblichen Herausforderungen.
Der Open-Source-Entwickler Joel Severin hat seine Arbeit an diesem ambitionierten Projekt vorgestellt. Er hat nicht nur den Kernel selbst angepasst, sondern auch wichtige Systemkomponenten wie LLVM und die C-Standard-Bibliothek Musl modifiziert. Das Ergebnis ist eine funktionierende Demo, die eine Kommandozeile und einfache Programme innerhalb eines Browsers wie Google Chrome ausführt.
Ein Experiment mit weitreichenden Folgen
Die Portierung des Linux-Kerns auf WebAssembly (WASM) ist mehr als nur eine technische Spielerei. Sie stellt einen grundlegenden Versuch dar, die Grenzen zwischen nativen Betriebssystemen und dem Web aufzuheben. WebAssembly wurde ursprünglich entwickelt, um Code in verschiedenen Programmiersprachen mit annähernd nativer Geschwindigkeit im Browser auszuführen. Die Ausführung eines gesamten Betriebssystemkerns geht jedoch weit über den ursprünglichen Anwendungsfall hinaus.
Severins Arbeit beweist, dass es technisch machbar ist. Nutzer können über eine von ihm bereitgestellte Webseite eine Linux-Umgebung starten, ohne eine virtuelle Maschine oder einen Container installieren zu müssen. Alles, was benötigt wird, ist ein moderner, WASM-fähiger Browser.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Entwickler Joel Severin hat den Linux-Kernel erfolgreich auf WebAssembly (WASM) portiert.
- Eine öffentliche Demo ermöglicht es, eine einfache Linux-Umgebung mit Shell direkt im Webbrowser zu starten.
- Das Projekt befindet sich in einem frühen, experimentellen Stadium und leidet unter Stabilitätsproblemen.
- Für eine reibungslose Integration wären grundlegende Änderungen an Linux und dem WebAssembly-Standard erforderlich.
Wie funktioniert die Umsetzung?
Um dieses Ziel zu erreichen, waren umfangreiche Anpassungen an mehreren Kernkomponenten notwendig. Das Herzstück ist eine modifizierte Version des Linux-Kernels. Zusätzlich mussten der LLVM-Compiler, die Musl-libc-Bibliothek, ein initramfs-Dateisystem und die Tool-Sammlung BusyBox angepasst werden, um mit der WebAssembly-Umgebung kompatibel zu sein.
Diese Komponenten arbeiten zusammen, um eine minimalistische, aber funktionale Linux-Umgebung zu schaffen. Der Browser agiert dabei quasi als Hardware-Abstraktionsschicht und stellt die notwendigen Ressourcen für den Kernel bereit. Die Interaktion erfolgt über eine einfache Kommandozeile (Shell), in der grundlegende Befehle ausgeführt werden können.
Was ist WebAssembly?
WebAssembly, oft als WASM abgekürzt, ist ein offener Standard, der ein binäres Instruktionsformat für eine stack-basierte virtuelle Maschine definiert. Es ist darauf ausgelegt, eine portable und effiziente Zielplattform für die Kompilierung von Hochsprachen wie C, C++ und Rust zu sein, die im Web ausgeführt werden können. Im Gegensatz zu JavaScript ermöglicht WASM die Ausführung von Code mit annähernd nativer Geschwindigkeit, was es ideal für rechenintensive Anwendungen wie Spiele, Videobearbeitung und wissenschaftliche Simulationen macht.
Die Grenzen des Machbaren
Obwohl die Demonstration beeindruckend ist, betont Severin selbst den experimentellen Charakter seiner Arbeit. Das System ist derzeit noch instabil. Bei Tests konnten wir im Chrome-Browser bereits nach kurzer Zeit Abstürze provozieren, wenn komplexere Befehle ausgeführt wurden. Dies unterstreicht, dass die Portierung noch weit von einem produktiven Einsatz entfernt ist.
„Dies ist eine Technologiedemonstration, sie soll zeigen, was möglich ist. Es gibt einige Dinge, bei denen der heutige Stand die Sache schmerzhafter macht, als sie sein müsste“, erklärte Joel Severin in seiner Ankündigung.
Er fügte hinzu, dass für eine stabile und performante Lösung fundamentale Änderungen sowohl am Linux-Kernel als auch am WebAssembly-Standard selbst notwendig wären. Insbesondere die Art und Weise, wie WASM mit Speicher und Systemaufrufen umgeht, ist nicht für den Betrieb eines vollwertigen Betriebssystems ausgelegt.
Umfang des Projekts
Das gesamte Projekt ist Open Source und auf GitHub verfügbar. Es umfasst angepasste Versionen von:
- Linux Kernel
- LLVM Compiler-Infrastruktur
- Musl C-Bibliothek
- initramfs (Initial RAM File System)
- BusyBox (Sammlung von Unix-Standard-Tools)
Ein Blick in die Zukunft
Die Vision, ein komplettes Betriebssystem im Browser laufen zu lassen, könnte weitreichende Auswirkungen haben. Entwickler könnten komplexe Testumgebungen ohne aufwendige Konfiguration direkt im Browser starten. Cloud-Anwendungen könnten sicherer in einer vollständig isolierten WASM-Umgebung ausgeführt werden. Auch für Bildungszwecke wäre eine leicht zugängliche Linux-Umgebung von großem Wert.
Severin macht jedoch deutlich, dass dieser Weg Engagement von der gesamten Community erfordert. „Es bräuchte eine Verpflichtung von den Leuten bei Linux und Wasm, ganz zu schweigen vom gesamten Ökosystem, um diese Änderungen tatsächlich umzusetzen“, so der Entwickler. Ohne eine breite Unterstützung der wichtigsten Akteure wird das Projekt wahrscheinlich ein faszinierendes Experiment bleiben.
Interessierte können die Demonstration selbst auf der von Severin eingerichteten GitHub-Pages-Webseite ausprobieren. Der Quellcode aller beteiligten Komponenten ist ebenfalls in einem öffentlichen GitHub-Repository zugänglich, was anderen Entwicklern die Möglichkeit gibt, auf dieser Arbeit aufzubauen oder sie zu analysieren.





