Eine Kontroverse um Moderationsentscheidungen auf der Social-Media-Plattform Bluesky hat sich in den letzten Tagen zugespitzt. CEO Jay Graber reagierte auf kritische Fragen zur Präsenz des umstrittenen Journalisten Jesse Singal wiederholt mit dem Wort „Waffles“ (Waffeln), was zu einer intensiven Debatte über die Unternehmensphilosophie und die Verantwortung gegenüber der Nutzergemeinschaft führte.
Wichtige Erkenntnisse
- Bluesky-CEO Jay Graber antwortete auf Kritik an der Moderationspolitik mit dem Wort „Waffeln“ und sarkastischen Kommentaren.
- Die Kontroverse entzündete sich an der Präsenz des Journalisten Jesse Singal, der wegen seiner Berichterstattung über Trans-Themen kritisiert wird.
- Der Vorfall verdeutlicht einen grundlegenden Konflikt zwischen Blueskys Vision als dezentrales Protokoll und den Erwartungen der Nutzer an eine aktive Community-Moderation.
- Graber betonte, dass Nutzer durch den dezentralen Ansatz eigene Moderationswerkzeuge entwickeln können, anstatt sich auf das Unternehmen zu verlassen.
Der Ursprung der „Waffel“-Kontroverse
Die Diskussion begann mit einem satirischen Beitrag des Nutzers Jerry Chen, der eine bestimmte Art der Debattenkultur auf Bluesky parodierte. In seinem Post schrieb er: „(Bluesky-Nutzer stürmt ins Waffle House) OH, ALSO HASST IHR PFANNKUCHEN??“
Jay Graber, die CEO von Bluesky, zitierte diesen Beitrag zustimmend und kommentierte: „Zu real. Wir werden versuchen, das zu beheben. Soziale Medien müssen nicht so sein.“ Diese Aussage löste eine direkte Reaktion aus.
Ein anderer Nutzer fragte daraufhin, ob der umstrittene Journalist Jesse Singal bereits von der Plattform verbannt worden sei. Grabers knappe und unerwartete Antwort lautete: „WAFFLES!“
Wer ist Jesse Singal?
Jesse Singal ist ein amerikanischer Journalist, dessen Arbeit, insbesondere seine Artikel über Transgender-Themen, von vielen als schädlich und transphob kritisiert wird. Seine Anwesenheit auf Bluesky war bereits im Vorjahr ein zentraler Streitpunkt. Kritiker werfen ihm vor, Desinformation zu verbreiten und die medizinische Versorgung von trans Jugendlichen in Frage zu stellen.
Eskalation der Debatte
Grabers „Waffel“-Antwort wurde von vielen Nutzern als respektlos und abweisend empfunden. Die Situation eskalierte weiter, als sie ihre Haltung in nachfolgenden Beiträgen verteidigte und die Kritik an ihrer Person und dem Unternehmen zurückwies.
Petition gegen Singal
Eine auf Change.org gestartete Petition, die forderte, Jesse Singal wegen Verstößen gegen die Community-Richtlinien von Bluesky zu sperren, sammelte mehr als 28.000 Unterschriften. Zeitweise war er der am häufigsten blockierte Nutzer auf der gesamten Plattform.
In einem weiteren Beitrag schrieb Graber: „Die Moderatoren zu belästigen, damit sie jemanden sperren, hat noch nie funktioniert. Und Menschen im Allgemeinen zu belästigen, hat noch nie ihre Meinung geändert.“ Um ihre Position zu unterstreichen, postete sie kurz darauf ein Foto von Waffeln, was von vielen als provokante Geste wahrgenommen wurde. Auch Singal selbst beteiligte sich mit einem eigenen Waffel-Bild an der Debatte.
„Die Moderatoren zu belästigen, damit sie jemanden sperren, hat noch nie funktioniert.“
Sarkastische Antworten auf Nutzerkritik
Die Reaktionen der CEO auf die anhaltende Kritik verschärften den Ton zusätzlich. Als ein Nutzer die Kritik mit einem Kunden verglich, der droht, seinen Dienst zu kündigen, fragte Graber: „Bezahlen Sie uns? Wo?“
Auf den Vorschlag eines anderen Nutzers, sie solle sich entschuldigen, antwortete sie sarkastisch: „Sie könnten einen Streik der Poster versuchen. Ich höre, das funktioniert.“ Diese Kommentare wurden als Zeichen mangelnden Respekts gegenüber der Community gewertet, die maßgeblich zum frühen Wachstum der Plattform beigetragen hat.
Ein Konflikt der Visionen
Der Vorfall legt einen tieferen Konflikt offen, der bei Bluesky schon länger schwelt. Es geht um die grundlegende Frage, was die Plattform ausmacht und welche Verantwortung das Unternehmen trägt. Viele frühe Nutzer, darunter zahlreiche marginalisierte Gruppen wie Trans-Personen, sahen in Bluesky einen sicheren Hafen, der durch seine Community definiert wird.
Aus dieser Perspektive wirkt die Weigerung der Führung, gegen als schädlich empfundene Akteure wie Singal vorzugehen, wie ein Verrat an den Werten dieser Community. Kritiker bemängeln wiederholt, dass Bluesky bei großen, umstrittenen Accounts nachsichtig sei, während palästinensische und trans Nutzer schneller gesperrt würden.
Unternehmen vs. Protokoll
Jay Graber und das Bluesky-Team vertreten jedoch eine andere Vision. Sie sehen sich weniger als Betreiber einer Community, sondern vielmehr als Architekten eines dezentralen Systems. In ihren Antworten auf die Kontroverse betonte Graber immer wieder die Bedeutung des zugrunde liegenden AT-Protokolls.
Sie schrieb über „Beschleunigung der Dezentralisierung“ und erklärte: „Wir sind im Kern Systemarchitekten. Wir haben ein dezentrales Netzwerk aufgebaut, damit Sie Ihre eigene Moderation betreiben können.“ Damit verweist sie auf die technische Möglichkeit, dass Nutzer und Entwickler eigene alternative Clients, Feeds und Moderationslisten erstellen können, um ihre Online-Erfahrung selbst zu gestalten.
Diese Haltung impliziert, dass die Verantwortung für die Schaffung sicherer Räume nicht primär beim Unternehmen Bluesky liegt, sondern bei den Nutzern selbst, die die Werkzeuge des Protokolls nutzen sollen.
Die Philosophie der Dezentralisierung
Dezentrale soziale Netzwerke wie Bluesky basieren auf einem Protokoll, das es verschiedenen unabhängigen Servern und Anwendungen ermöglicht, miteinander zu kommunizieren. Im Gegensatz zu zentralisierten Plattformen wie X (ehemals Twitter) oder Facebook, bei denen ein Unternehmen die alleinige Kontrolle über Daten und Moderation hat, soll Dezentralisierung den Nutzern mehr Macht und Flexibilität geben. Sie können beispielsweise ihren Anbieter wechseln, ohne ihre Follower zu verlieren, oder eigene Algorithmen und Filterregeln anwenden.
Die Firma als „zukünftiger Gegner“
Interessanterweise scheint Graber diesen Konflikt zwischen Unternehmensführung und Nutzererwartungen von Anfang an vorhergesehen zu haben. In den Gründungsdokumenten von Bluesky soll sie den Satz formuliert haben: „Das Unternehmen ist ein zukünftiger Gegner.“
Diese Aussage unterstreicht die radikale Vision eines Systems, das so robust und dezentralisiert ist, dass es sogar gegen die Interessen seines eigenen Schöpferunternehmens bestehen kann. Wenn Nutzer mit der Führung unzufrieden sind, so die Theorie, können sie einfach zu einem anderen Anbieter auf demselben Protokoll migrieren.
Die aktuelle „Waffel“-Kontroverse stellt diese Theorie auf die Probe. Sie zeigt die Spannung zwischen einer langfristigen, technischen Vision und den unmittelbaren Bedürfnissen einer Community, die sich Schutz und klare Haltung von der Plattform wünscht, die sie ihr Zuhause nennt. Während die Entwickler am Protokoll arbeiten, ringen die Nutzer mit den realen Auswirkungen von Hassrede und Belästigung im Hier und Jetzt.
Ob das Versprechen der Dezentralisierung ausreicht, um diese Kluft zu überbrücken, wird entscheidend für die Zukunft von Bluesky sein.





