Lockheed Martin, der Hauptauftragnehmer für die Orion-Raumkapsel der NASA, leitet einen strategischen Wandel ein. Das Unternehmen prüft die Wiederverwendbarkeit der Kapsel und die Nutzung alternativer Trägerraketen, um die Kosten für zukünftige Mondmissionen zu senken und kommerzielle Dienstleistungen anzubieten. Diese Neuausrichtung markiert eine Abkehr von der bisherigen engen Bindung an die teure Space Launch System (SLS) Rakete.
Wichtige Erkenntnisse
- Lockheed Martin strebt an, Orion-Missionen als kommerziellen Service anzubieten, ähnlich dem Modell für Fracht- und Crew-Transporte zur ISS.
- Die Wiederverwendung von Bauteilen und der gesamten Kapselstruktur ist ein zentraler Bestandteil der neuen Kostenstrategie.
- Das Unternehmen prüft aktiv den Einsatz von günstigeren Trägerraketen anstelle des über 2 Milliarden Dollar teuren Space Launch System (SLS).
- Ein schrittweiser Plan zur Wiederverwendung soll die Kosten bis zur Artemis-V-Mission um 50 % und danach um weitere 30 % senken.
Ein Strategiewechsel für die Raumfahrt
Seit fast zwei Jahrzehnten waren die Orion-Raumkapsel und die Space Launch System (SLS) Rakete untrennbar miteinander verbunden. Sie bildeten das Fundament der NASA-Pläne für die Rückkehr von Menschen zum Mond. Doch diese enge Partnerschaft könnte sich bald lockern. Lockheed Martin signalisiert eine deutliche Bereitschaft, die Orion-Kapsel in ein flexibleres und wirtschaftlicheres System zu überführen.
Grund für diesen Wandel ist der zunehmende Druck, die Kosten für die bemannte Raumfahrt zu senken. Das traditionelle Modell, bei dem die NASA teure Einweg-Hardware in Auftrag gibt und selbst betreibt, stößt an seine finanziellen Grenzen. Stattdessen rückt ein service-basiertes Modell in den Fokus, wie es sich bereits bei den Flügen zur Internationalen Raumstation (ISS) bewährt hat.
Vom Regierungsauftrag zum kommerziellen Service
Das bisherige "Cost-Plus"-Vertragsmodell sah vor, dass die NASA die Entwicklung und den Bau von Rakete und Kapsel finanziert und alle Risiken trägt. Ein Wechsel zu einem Servicemodell würde bedeuten, dass die NASA komplette Missionen bei einem Unternehmen wie Lockheed Martin einkauft. Das Unternehmen wäre dann für den gesamten Ablauf verantwortlich – vom Start bis zur sicheren Rückkehr der Astronauten.
Die Zukunft des SLS-Programms ist ungewiss
Die Neuausrichtung wird durch politische Signale beschleunigt. Der Haushaltsentwurf des Weißen Hauses für das Fiskaljahr 2026 sah ursprünglich vor, die Finanzierung für Orion und SLS nach der Artemis-III-Mission zu beenden. Obwohl der Kongress eine Fortführung bis mindestens Artemis V durchsetzte, ist die langfristige Perspektive für das teure Raketensystem unklar.
„Angesichts der Vorgaben des Haushaltsentwurfs und der voraussichtlichen zukünftigen Ausrichtung der NASA müssen sie zu einer kommerziellen Transportoption übergehen, ähnlich wie bei kommerziellen Besatzungs- und Frachtflügen“, erklärte Anthony Byers, Direktor für Strategie und Geschäftsentwicklung bei Lockheed Martin.
Während Lockheed Martin proaktiv eine kommerzielle Zukunft für Orion plant, gibt es bei der SLS-Rakete kaum Fortschritte in diese Richtung. Ein 2022 von Boeing und Northrop Grumman gegründetes Joint Venture zur Kommerzialisierung der Rakete scheint ins Stocken geraten zu sein, da ein erwarteter Vertrag mit der NASA bisher nicht zustande kam.
Die Suche nach alternativen Trägerraketen
Ein entscheidender Faktor zur Kostensenkung ist die Wahl der Trägerrakete. Mit Startkosten von über 2 Milliarden US-Dollar pro Flug ist die SLS-Rakete auf Dauer nicht wettbewerbsfähig. Aus diesem Grund prüft Lockheed Martin intensiv den Einsatz anderer, günstigerer Raketen für den Start der Orion-Kapsel.
Technische Herausforderungen
Die Orion-Kapsel hat inklusive ihres Rettungssystems eine Startmasse von etwa 35 Tonnen. Eine alternative Rakete muss nicht nur diese Masse in den Orbit befördern, sondern auch den nötigen Schub für den Flug zum Mond liefern. Lockheed untersucht verschiedene Szenarien, einschließlich der Möglichkeit, Orion mit einer Rakete zu starten und mit einer zweiten einen „Schlepper“ ins All zu schicken, der die Kapsel zum Mond befördert.
Kirk Shireman, Vizepräsident und Programmmanager für Orion bei Lockheed Martin, bestätigte, dass solche Architekturen technisch machbar sind. „Könnte man Architekturen schaffen, um auf anderen Fahrzeugen zu fliegen? Ja, wir wissen, dass wir das können“, so Shireman. Detaillierte Studien zu Vibrationen, Akustik und thermischen Belastungen wurden jedoch noch nicht durchgeführt.
Ein schrittweiser Weg zur Wiederverwendbarkeit
Die Wiederverwendung von Komponenten ist laut Lockheed Martin „absolut entscheidend“, um die Kosten zu senken. Dieser Ansatz hat sich im Laufe des Programms entwickelt, inspiriert durch die Erfolge von Unternehmen wie SpaceX mit der Wiederverwendung ihrer Dragon-Kapseln.
Ursprünglich sollte die Orion-Kapsel nach jeder Mission demontiert werden, um einzelne Bauteile zu bergen. Inzwischen verfolgen NASA und Lockheed Martin einen ehrgeizigeren Plan, der die Wiederverwendung ganzer Module vorsieht.
Der Fahrplan für die Artemis-Missionen
Die Strategie wird schrittweise umgesetzt, um Risiken zu minimieren und Erfahrungen zu sammeln. Howard Hu, Orion-Programmmanager der NASA, beschrieb den Ansatz als „krabbeln, dann gehen, dann rennen“.
- Artemis II: Eine neue Kapsel, die jedoch 11 überholte Avionik-Komponenten von Artemis I wiederverwendet.
- Artemis III & IV: Für diese Missionen werden komplett neue Raumfahrzeuge gebaut.
- Artemis V: Hier sollen bereits rund 250 Komponenten aus der Artemis-II-Kapsel wiederverwendet werden, hauptsächlich aus den Bereichen Lebenserhaltung und Avionik.
- Artemis VI: Ein Meilenstein, bei dem erstmals die primäre Struktur (der Druckkörper) der Artemis-III-Kapsel zusammen mit etwa 3.000 weiteren Komponenten wieder zum Einsatz kommt.
Aufbau einer wiederverwendbaren Flotte
Langfristig plant Lockheed Martin den Aufbau einer Flotte von drei weitgehend wiederverwendbaren Raumkapseln. Diese sollen bei den Missionen Artemis III, IV und V ihr Debüt geben und anschließend für zukünftige Flüge eingesetzt werden. Bei Bedarf kann die Flotte erweitert werden.
Eine vollständige Wiederverwendbarkeit ist bei Orion jedoch nicht möglich. Das von Airbus in Europa gebaute Servicemodul, das für den Antrieb sorgt, wird vor dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre abgetrennt und verglüht. Auch der Hitzeschild nutzt sich teilweise ab, obwohl seine Grundstruktur wiederverwendet werden soll.
Ambitionierte Kostenziele
Das Unternehmen hat sich klare Ziele gesetzt: Die Produktionskosten für eine Orion-Kapsel sollen von Artemis II bis Artemis V um 50 Prozent gesenkt werden. Bei nachfolgenden Missionen ist eine weitere Reduzierung um 30 Prozent oder mehr geplant. Ein Schlüssel dazu ist die Minimierung des Aufwands für die Aufbereitung der Kapsel zwischen den Flügen.
Auch wenn Orion im Vergleich zu zukünftigen Systemen wie dem Starship von SpaceX teuer bleiben wird, ist die Kapsel derzeit die einzige verfügbare und erprobte Technologie, um Astronauten sicher in den tiefen Weltraum zu bringen. Lockheed Martin erkennt jedoch, dass dieser Vorsprung nicht ewig halten wird, und stellt die Weichen für eine nachhaltigere und wettbewerbsfähigere Zukunft in der bemannten Raumfahrt.





