Apples Familienfreigabe wurde entwickelt, um Familien zu vernetzen und Kinder online zu schützen. Doch bei Trennungen und in instabilen familiären Verhältnissen kann das System zu einem Werkzeug für Kontrolle und Überwachung werden. Betroffene berichten von digitaler Gängelung, aus der es kaum ein Entrinnen gibt, da die Struktur des Dienstes auf einen einzigen Organisator mit uneingeschränkter Macht ausgelegt ist.
Die grundlegende Annahme, dass Familien stets eine stabile Einheit bilden, erweist sich in der Praxis als Schwachstelle. Wenn Beziehungen zerbrechen, kann der digitale Raum zu einem weiteren Schauplatz von Konflikten werden, in dem Kinder gefangen sind. Die Konten sind an den Organisator gebunden, was einen einfachen Wechsel oder die Befreiung aus der Gruppe oft unmöglich macht.
Wichtige Erkenntnisse
- Die Familienfreigabe von Apple weist eine strukturelle Schwäche auf, da sie nur einen einzigen "Organisator" mit voller Kontrolle vorsieht.
- Bei familiären Trennungen kann diese Funktion missbraucht werden, um Kinder und Ex-Partner digital zu überwachen und zu kontrollieren.
- Betroffene Elternteile haben kaum Möglichkeiten, ihre Kinder ohne die Zustimmung des Organisators aus der Familiengruppe zu entfernen.
- Andere Tech-Unternehmen wie Google und Microsoft haben ähnliche Systeme mit vergleichbaren Problemen.
- Experten fordern, dass Tech-Unternehmen ihre Richtlinien an die Realität diverser Familienstrukturen und Trennungsszenarien anpassen müssen.
Das Versprechen der vernetzten Familie
Im Jahr 2014 führte Apple die Familienfreigabe ein, ein System, das als digitale Schaltzentrale für die moderne Familie konzipiert wurde. Die Idee war einfach und überzeugend: Familienmitglieder sollten Käufe, Kalender, Fotos und sogar den eigenen Standort unkompliziert miteinander teilen können.
Für Eltern bot die Funktion zusätzliche Vorteile. Mit Werkzeugen wie der Bildschirmzeit konnten sie die Gerätenutzung ihrer Kinder überwachen und begrenzen. Die Möglichkeit, den Standort der Kinder in Echtzeit zu sehen, vermittelte ein Gefühl der Sicherheit. Das System verkörperte die typische Apple-Philosophie: Es sollte nahtlos, intuitiv und hilfreich sein – solange die familiäre Welt in Ordnung ist.
Ein Organisator hat die volle Kontrolle
Die Architektur der Familienfreigabe basiert auf einer klaren Hierarchie. Eine Person, der sogenannte "Organisator", erstellt die Gruppe und lädt andere Mitglieder ein. Dieser Organisator ist für alle Käufe verantwortlich, die über die verknüpfte Zahlungsmethode getätigt werden. Vor allem aber hat er die alleinige Macht über die Einstellungen und die Mitgliedschaft in der Gruppe.
Kinder unter 13 Jahren, die eine Apple-ID besitzen möchten, müssen Teil einer solchen Familiengruppe sein. Sie können die Gruppe nicht aus eigenem Willen verlassen. Auch für ältere Kinder ist ein Austritt nicht möglich, wenn die Bildschirmzeit-Beschränkungen aktiv sind. Diese Struktur spiegelt ein traditionelles, aber oft überholtes Familienbild wider, in dem eine Person die alleinige Kontrolle ausübt.
Wenn das System zur Waffe wird
Was in harmonischen Familien eine praktische Funktion ist, kann sich bei einer Trennung oder Scheidung in ein Albtraum-Szenario verwandeln. Der auf einen einzigen Organisator ausgerichtete Aufbau wird zur digitalen Falle, wenn dieser seine Macht missbraucht.
Eine betroffene Mutter, deren Name zu ihrem Schutz geändert wurde und die wir Kate nennen, erlebte dies am eigenen Leib. Nach der Trennung von ihrem Ehemann, dem Organisator der Familiengruppe, nutzte dieser die Funktion, um sie und die gemeinsamen Kinder zu kontrollieren. Er überwachte ihre Standorte, forderte Rechenschaft über ihre Bildschirmzeit und verhängte willkürliche Einschränkungen.
„Es war invasiv und zwanghaft“, beschreibt Kate die Situation. Obwohl sie das physische Sorgerecht für die Kinder hatte, blieb die digitale Leine zum Ex-Mann bestehen.
Ihr Versuch, die Kinder in eine neue, von ihr geführte Familiengruppe zu überführen, scheiterte. Ohne die Zustimmung des Organisators war ein Wechsel nicht möglich. „Ich ging fälschlicherweise davon aus, dass ich als sorgeberechtigte Mutter mit einem Gerichtsbeschluss Apple dazu bringen könnte, meine Kinder in meine Gruppe zu verschieben“, sagt sie. Doch der Apple-Support erklärte, dass ihnen die Hände gebunden seien. Die Macht liegt allein beim Organisator.
Digitale Kontrolle nach der Trennung
Kates Fall ist kein Einzelfall. Der Organisator der Familiengruppe kann die Standorte der Kinder verfolgen, ihre Bildschirmzeit bis ins Detail analysieren und Apps nach Belieben sperren oder freigeben. Dies ermöglicht eine Form der Fernkontrolle, die auch nach einer räumlichen Trennung fortbesteht und für die Kinder und den anderen Elternteil extrem belastend sein kann.
Eine strukturelle Schwachstelle der Tech-Branche
Das Problem ist nicht auf Apple beschränkt. Auch andere große Technologieunternehmen wie Google mit „Family Link“ und Microsoft mit „Family Safety“ setzen auf ähnliche Modelle, die von einem einzigen Hauptverwalter ausgehen. Diese Systeme sind für stabile Familienverhältnisse optimiert und ignorieren die Komplexität von Trennungen, Patchwork-Familien oder Fällen von häuslicher Gewalt.
Ken Munro, Partner bei der Cybersicherheitsfirma Pen Test Partners, sieht hier ein häufiges Versäumnis. Er vergleicht die Situation mit früheren Problemen bei smarten Türklingeln, bei denen es unmöglich war, einen ehemaligen Partner als Hauptnutzer zu entfernen. „Ich bin überrascht, dass ein Unternehmen mit Apples Erfahrung im User-Design den Zerfall von Familieneinheiten offenbar nicht berücksichtigt hat“, so Munro.
Rechtliche Grauzone und fehlende Verantwortung
Die rechtliche Dimension ist ebenfalls komplex. Orla Lynskey, Professorin für Recht und Technologie am University College London, bezeichnet Fälle wie den von Kate als beunruhigendes Beispiel dafür, wie digitale Werkzeuge eine Doppelfunktion haben können.
„Was ursprünglich als Werkzeug für Komfort und Verbindung gedacht war, dient auch dazu, Kontrolle und Zwang zu ermöglichen. Es zeigt auch, wie gesetzliche Rechte – in diesem Fall das Sorgerecht der Mutter – durch die private Verwaltung digitaler Systeme untergraben werden können.“
Lynskey stellt die Frage, ob sich Unternehmen wie Apple auf ihre Position als reiner technischer Dienstleister zurückziehen, um sich der Verantwortung nach dem Datenschutzrecht zu entziehen.
Der Ruf nach Veränderung
Die Reaktionen der betroffenen Unternehmen auf Anfragen sind oft vage. Google erklärte, dass Eltern sich an den Support wenden und „formale Dokumente“ vorlegen könnten, um ein Kind in eine neue Gruppe zu verschieben. Microsoft verweist auf einen Eskalations-Support für spezielle Situationen. Apple lehnte einen Kommentar ab und verwies lediglich auf bestehende Support-Dokumente, die das Problem jedoch nicht grundlegend lösen.
Für Kate und ihre Kinder gab es schließlich eine Lösung, die jedoch nicht vom Unternehmen kam. Ihre Kinder setzten ihren Vater so lange unter Druck, bis er die Familiengruppe auflöste. „Endlich konnten wir alle aufatmen“, sagt Kate. Doch sie fügt hinzu:
„Kinder sollten nicht ihre eigenen Eltern erziehen müssen, weil Technologieunternehmen gravierende Mängel in ihren Richtlinien für solche Fälle haben.“
Die Forderung ist klar: Ein Gerichtsbeschluss über das Sorgerecht sollte ausreichen, um ein Unternehmen zu verpflichten, die digitalen Konten von Minderjährigen in die Obhut des sorgeberechtigten Elternteils zu überführen. Solange Tech-Konzerne an dem idealisierten Bild der ewig glücklichen Familie festhalten, setzen sie Kinder und schutzbedürftige Personen weiterhin der Gefahr digitaler Kontrolle aus.





