Eine neue klinische Studie gibt Millionen von Menschen, die an einer fortgeschrittenen Form der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) leiden, neue Hoffnung. Ein winziges, drahtloses Netzhaut-Implantat namens PRIMA hat in einer Untersuchung mit 38 Patienten gezeigt, dass es die zentrale Sehkraft teilweise wiederherstellen kann. Viele Teilnehmer konnten nach dem Eingriff wieder Buchstaben und Wörter lesen.
Die Ergebnisse, die im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden, markieren einen bedeutenden Fortschritt in der Behandlung der geografischen Atrophie, für die es bisher keine Heilung gibt. Das System kombiniert einen Mikrochip im Auge mit einer speziellen Brille und nutzt natürliches Licht zur Energieversorgung.
Wichtige Erkenntnisse
- Ein neues drahtloses Netzhaut-Implantat namens PRIMA wurde erfolgreich bei Patienten mit geografischer Atrophie getestet.
- In einer Studie mit 38 Teilnehmern zeigten 26 Personen nach einem Jahr klinisch bedeutsame Verbesserungen ihrer Sehschärfe.
- Mehr als 80 % der Patienten, die die Studie abschlossen, konnten wieder Buchstaben und Wörter lesen.
- Das System besteht aus einem winzigen Chip, der in die Netzhaut implantiert wird, und einer speziellen Brille, die Bilder verarbeitet.
Die Herausforderung der geografischen Atrophie
Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) ist eine der häufigsten Ursachen für Sehverlust bei Menschen über 50 Jahren. Weltweit sind schätzungsweise 196 Millionen Menschen davon betroffen. Eine fortgeschrittene Form dieser Erkrankung ist die geografische Atrophie, bei der die Zellen der Netzhaut absterben, was zu einem unumkehrbaren Verlust des zentralen Sehens führt.
Patienten mit dieser Erkrankung verlieren die Fähigkeit, Gesichter zu erkennen, zu lesen oder Auto zu fahren. Bisherige Behandlungen konnten den Krankheitsverlauf lediglich verlangsamen, aber keine verlorene Sehkraft wiederherstellen. Die Betroffenen sind oft auf Sehhilfen wie Lupen oder spezielle Brillen angewiesen, um alltägliche Aufgaben zu bewältigen.
Was ist geografische Atrophie?
Geografische Atrophie ist das Endstadium der trockenen AMD. Dabei sterben lichtempfindliche Zellen (Photorezeptoren) in der Makula, dem zentralen Teil der Netzhaut, ab. Dies führt zu „blinden Flecken“ im zentralen Sichtfeld, die sich mit der Zeit vergrößern und das scharfe Sehen unmöglich machen. Weltweit leiden etwa 8 Millionen Menschen an dieser schweren Form der AMD.
Ein technologischer Durchbruch für das Auge
Das PRIMA-System, entwickelt von einem Team um Dr. Daniel Palanker von der Stanford University, stellt einen neuen Ansatz zur Wiederherstellung der Sehkraft dar. Es besteht aus zwei Hauptkomponenten: einem winzigen drahtlosen Chip und einer Spezialbrille.
Der Chip, der nur wenige Millimeter groß ist, wird chirurgisch unter die Netzhaut im hinteren Teil des Auges implantiert. Er ist photovoltaisch, was bedeutet, dass er durch Licht mit Energie versorgt wird und keine externe Stromquelle benötigt. Die Spezialbrille ist mit einer Kamera ausgestattet, die Bilder in Echtzeit aufnimmt und sie in ein für den Chip verständliches Signal umwandelt. Dieses Signal wird dann an den Chip gesendet, der die verbleibenden funktionsfähigen Nervenzellen der Netzhaut stimuliert, um ein visuelles Bild im Gehirn zu erzeugen.
Die Ergebnisse der europäischen Studie
Für die aktuelle Studie wurden 38 Patienten über 60 Jahre aus 17 medizinischen Zentren in fünf europäischen Ländern rekrutiert. Alle litten an geografischer Atrophie und hatten in mindestens einem Auge eine Sehkraft von weniger als 20/320. Jedem Teilnehmer wurde das PRIMA-Implantat in ein Auge eingesetzt.
Beeindruckende Verbesserungen
Von den 32 Patienten, die die einjährige Studie abschlossen, erlebten 26 eine klinisch bedeutsame Verbesserung ihrer Sehschärfe. Im Durchschnitt konnten die Teilnehmer fünf weitere Zeilen auf der Standard-Sehtafel erkennen. Ein Patient verbesserte sich sogar um zwölf Zeilen.
Besonders bemerkenswert ist, dass 27 Studienteilnehmer die Fähigkeit wiedererlangten, Buchstaben und Zahlen zu Hause zu lesen. Dies stellt eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität dar.
„Es ist das erste Mal, dass ein Versuch zur Wiederherstellung des Sehvermögens bei einer großen Anzahl von Patienten solche Ergebnisse erzielt hat“, sagte Dr. José-Alain Sahel, Mitautor der Studie und Professor für Augenheilkunde an der University of Pittsburgh. „Mehr als 80 % der Patienten konnten Buchstaben und Wörter lesen, und einige von ihnen lesen Seiten in einem Buch.“
Expertenmeinungen und zukünftige Aussichten
Fachleute, die nicht an der Studie beteiligt waren, bewerten die Ergebnisse als vielversprechend, weisen aber auch auf offene Fragen hin. Dr. Benjamin Bert, ein Augenarzt am MemorialCare Orange Coast Medical Center in Kalifornien, nannte die Technologie faszinierend. „Jede Verbesserung des Sehvermögens kann Menschen helfen, im Alter unabhängig zu bleiben und Stürze zu vermeiden“, erklärte er.
Gleichzeitig betonte Dr. Bert die Notwendigkeit weiterer Forschung: „Um dies den Patienten guten Gewissens anbieten zu können, wäre es gut, die Langlebigkeit des Geräts, den langfristigen Support und mögliche zukünftige Upgrades der Technologie zu kennen.“
Ein weiterer Experte, Dr. Jonathan Gloth vom Hackensack Meridian Jersey Shore University Medical Center, hob die innovative Platzierung des Implantats hervor. „Dieses Netzhaut-Implantat wird an einer besseren Stelle platziert, dem subretinalen Raum, was diesen Patienten eine höhere Auflösung und eine bessere Sehschärfe ermöglicht als früher untersuchte prothetische Netzhaut-Implantate.“
Sicherheitsaspekte und nächste Schritte
Die Studie zeigte auch, dass der Eingriff Risiken birgt. Bei 81 % der Patienten traten ernste unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit der Operation auf. Die Forscher gehen jedoch davon aus, dass die Komplikationsrate sinken wird, wenn die Chirurgen mehr Erfahrung mit dem Implantationsverfahren sammeln.
Die Studie muss nun in größerem Maßstab wiederholt werden, um die Sicherheit und Wirksamkeit des Geräts weiter zu bestätigen. Dr. Sahel und sein Team arbeiten bereits daran, das System weiter zu verbessern. „Eine der Hauptanforderungen, die wir von Patienten hören, ist, wieder Gesichter und Emotionen erkennen zu können, und daran arbeiten wir“, so Sahel.
Obwohl eine vollständige Wiederherstellung der Sehkraft auf 20/20 allein durch das Implantat unwahrscheinlich ist, könnte diese Technologie in Kombination mit anderen Ansätzen die Lebensqualität von Millionen von Menschen weltweit dramatisch verbessern und ihnen einen Teil ihrer Unabhängigkeit zurückgeben.





