Ein 83-jähriger Mann aus Belgien stellte die Ärzte vor ein Rätsel, als er mit einer ungewöhnlichen Form der sekundären Syphilis ins Krankenhaus kam. Trotz seiner Angaben, seit 50 Jahren in einer monogamen Ehe zu leben und in den letzten Jahren sexuell inaktiv gewesen zu sein, deutete der seltene Krankheitsverlauf auf eine neuere Infektion hin. Dieser Fall unterstreicht die Komplexität der Diagnose von sexuell übertragbaren Krankheiten, insbesondere bei älteren Patienten.
Wichtige Erkenntnisse
- Ein 83-jähriger Mann wurde mit sekundärer Syphilis diagnostiziert, einer seltenen Form bei älteren Patienten.
- Die Diagnose war schwierig, da Symptome unspezifisch waren und die Syphilis die Leber betraf.
- Trotz der Behauptung einer 50-jährigen monogamen Ehe vermuten Ärzte eine neuere Exposition.
- Der Patient erholte sich vollständig nach einer Antibiotikabehandlung.
- Der Fall wurde im New England Journal of Medicine als klinisches Problem-Solving veröffentlicht.
Die anfängliche Symptomatik und erste Fehlinterpretationen
Der Patient suchte ursprünglich die Notaufnahme wegen starken Juckreizes auf. Bereits einen Monat zuvor war er wegen einer Gesichtslähmung von Spezialisten behandelt worden. Zu diesem Zeitpunkt zeigten seine Blutwerte erhöhte Leberenzyme. Ärzte vermuteten zunächst eine Virusinfektion als Ursache für die verschiedenen Beschwerden, doch Tests auf HIV, Epstein-Barr, Cytomegalovirus sowie Hepatitis A, B, C und E fielen negativ aus.
Die Gesichtslähmung bildete sich nach einer Steroidbehandlung zurück, die Leberwerte blieben jedoch auffällig. Bei seinem erneuten Besuch in der Notaufnahme klagte der Mann zusätzlich über Gelenkschmerzen in Knien und Knöcheln, allgemeines Unwohlsein, Appetitlosigkeit und Schwellungen an Füßen, Beinen, gelegentlich auch im Gesicht, an Armen und Händen.
Faktencheck
- Alter des Patienten: 83 Jahre
- Ehedauer: 50 Jahre (angeblich monogam)
- Erste Symptome: Starker Juckreiz, Gesichtslähmung, erhöhte Leberenzyme
- Seltenheit der Erkrankung: Sekundäre Syphilis bei einem 83-Jährigen ist äußerst ungewöhnlich.
Ein breites Spektrum an möglichen Diagnosen
Angesichts der unspezifischen Symptome zogen die Ärzte eine Vielzahl von Ursachen in Betracht. Medikamente, insbesondere bei älteren Patienten, können Leberprobleme verursachen. Entzündungen, andere Infektionen, Autoimmunerkrankungen oder Krankheiten, die mit der Ansammlung verschiedener Substanzen einhergehen, waren ebenfalls mögliche Erklärungen für seine Beschwerden.
Eine körperliche Untersuchung ergab keine Auffälligkeiten an Herz, Lunge oder Bauchraum. Auch eine neurologische Untersuchung verlief ohne Befund. Auffällig war jedoch ein schuppiger, roter Ausschlag an den Beinen des Mannes. Weitere Laboruntersuchungen bestätigten die Leberanomalien und zeigten zudem Anämie sowie abnormale Proteinwerte im Urin.
Hintergrundinformation: Syphilis-Stadien
Syphilis ist eine bakterielle Infektion, die in vier Stadien verläuft:
- Primäre Syphilis: Ein schmerzloses Geschwür (Chancre) an der Infektionsstelle, das von selbst abheilt.
- Sekundäre Syphilis: Die Bakterien verbreiten sich im Körper, oft mit Hautausschlag, Fieber, Unwohlsein, Gelenkschmerzen und Schwellungen.
- Latente Syphilis: Eine symptomfreie Phase, die Jahre oder Jahrzehnte dauern kann.
- Tertiäre Syphilis: Spätstadium mit schweren Schäden an Organen wie Herz, Gehirn und Nervensystem.
Der entscheidende Hinweis aus der Vergangenheit
Ein Computertomographie-Scan zeigte eine Verdickung der Gallenblasenwand und des Gallengangs, was auf eine entzündliche oder infektiöse Lebererkrankung hindeutete. Die Kombination aus Schwellungen, Protein im Urin und Leberanomalien ließ die Ärzte zunächst an ein Nierenproblem denken, möglicherweise verursacht durch eine Autoimmunerkrankung. Tests hierfür fielen jedoch negativ aus, ebenso wie weitere Biomarker für Autoimmunerkrankungen.
In dieser Sackgasse entschieden sich die Ärzte, den Patienten erneut zu befragen, insbesondere nach seiner Infektionsgeschichte. Der Mann gab an, in jungen Jahren während seiner Militärzeit mehrere sexuell übertragbare Infektionen (STIs) gehabt und behandelt worden zu sein, konnte sich aber an keine spezifischen erinnern. Dies war der entscheidende Hinweis.
„Sekundäre Syphilis tritt typischerweise innerhalb des ersten Jahres nach einer unbehandelten Primärinfektion auf und nur selten über 4 Jahre hinaus.“
Die Diagnose: Sekundäre Syphilis
Nach diesem Hinweis testeten die Ärzte den Mann auf verschiedene STIs. Er wurde positiv auf Syphilis getestet. Angesichts seiner früheren Gesichtslähmung führten sie auch eine Lumbalpunktion durch, um Neurosyphilis auszuschließen, die jedoch negativ war. Letztendlich passte die Kombination seiner Symptome – Ausschlag, Unwohlsein, Leber- und Nierenprobleme, Gesichtslähmung und Schwellungen – zu einer Syphilis-Infektion.
Besonders die Leberbeteiligung ist selten und tritt bei weniger als 10 Prozent der Syphilis-Fälle auf, was die Diagnose zusätzlich erschwerte. Die Ärzte vermuten, dass es sich um eine Infektion im sekundären Stadium handelte.
Ein Rätsel um den Zeitpunkt der Infektion
Obwohl die STI-Geschichte des Mannes Jahrzehnte zurücklag, führte sie zur korrekten Diagnose. Das Auftreten der sekundären Syphilis war jedoch rätselhaft. Sekundäre Syphilis manifestiert sich normalerweise innerhalb eines Jahres nach der primären Infektion und nur sehr selten nach mehr als vier Jahren. Eine Reaktivierung einer latenten Infektion durch ein immunsuppressives Medikament wie das Steroid gegen die Gesichtslähmung würde typischerweise zu einer Spätstadium-Infektion führen, nicht zu einer sekundären.
Die behandelnden Ärzte kamen daher zu dem Schluss, dass „eine neuere, nicht gemeldete Exposition in Betracht gezogen werden muss“. Der genaue Zeitpunkt und die Quelle der Infektion bleiben jedoch unbekannt.
Der Mann erhielt eine Antibiotikabehandlung und erholte sich vollständig. Die örtlichen Gesundheitsbehörden wurden informiert, um mögliche Sexualpartner des Mannes ausfindig zu machen und zu benachrichtigen. Was mit der Ehefrau des Mannes geschah, ist nicht bekannt.





