Forscher von Google DeepMind und der Yale University haben ein neues KI-System vorgestellt, das einen vielversprechenden Ansatz für die Krebstherapie identifiziert hat. Das Modell namens C2S-Scale 27B schlug eine Wirkstoffkombination vor, die schwer behandelbare Tumore für das Immunsystem des Körpers sichtbar machen könnte. Die Hypothese der KI wurde bereits in Laborexperimenten erfolgreich bestätigt.
Die am 15. Oktober bekannt gegebene Entwicklung stellt einen bedeutenden Schritt für den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der biologischen Forschung dar. Das System analysierte das Verhalten von Zellen und generierte eine neue wissenschaftliche Hypothese, die das Potenzial hat, die Entwicklung zukünftiger Immuntherapien zu beeinflussen.
Wichtige Erkenntnisse
- Ein neues KI-Modell von Google DeepMind, C2S-Scale 27B, wurde entwickelt, um zelluläre Prozesse zu analysieren.
- Die KI identifizierte eine Kombination aus dem Medikament Silmitasertib und niedrig dosiertem Interferon als potenzielle Krebstherapie.
- Diese Kombination soll die Immunantwort auf bisher resistente "kalte" Tumore verstärken.
- Wissenschaftler der Yale University konnten die Vorhersage der KI in Labortests an menschlichen Zellen bestätigen.
Ein KI-System zur Analyse zellulärer Vorgänge
Das Herzstück dieser Forschung ist das KI-Modell C2S-Scale 27B. Es gehört zu den größten und komplexesten Systemen, die jemals für die Untersuchung des Verhaltens von Zellen entwickelt wurden. Basierend auf Googles Gemma-Modellfamilie wurde es darauf trainiert, die "Sprache" einzelner Zellen zu verstehen und komplexe biologische Zusammenhänge zu erkennen.
Die Hauptaufgabe des Modells bestand darin, Substanzen zu finden, die die Fähigkeit des Immunsystems zur Krebserkennung verbessern. Konkret sollte es die sogenannte Antigenpräsentation verstärken. Dieser Prozess ist entscheidend, damit Immunzellen Krebszellen als fremd identifizieren und angreifen können.
Was sind "kalte" Tumore?
In der Onkologie werden Tumore oft als "heiß" oder "kalt" bezeichnet. "Heiße" Tumore sind bereits vom Immunsystem infiltriert und reagieren oft gut auf Immuntherapien. "Kalte" Tumore hingegen schaffen es, sich vor dem Immunsystem zu tarnen. Sie weisen kaum Immunzellen auf und sind daher für bestehende Behandlungen nur schwer zugänglich. Ein Hauptziel der modernen Krebsforschung ist es, Wege zu finden, diese "kalten" Tumore in "heiße" umzuwandeln.
Sundar Pichai, CEO von Google, kommentierte die Entwicklung auf der Plattform X: "Mit weiteren präklinischen und klinischen Tests könnte diese Entdeckung einen vielversprechenden neuen Weg für die Entwicklung von Krebstherapien aufzeigen."
Die Suche nach der richtigen Wirkstoffkombination
Um potenzielle Wirkstoffe zu identifizieren, führte die KI eine Art virtuelle Großuntersuchung durch. Forscher nennen diesen Prozess einen "dualen kontextuellen virtuellen Screen". Dabei analysierte das System die Wirkung von über 4.000 Medikamenten auf Daten von Patiententumorproben und isolierten Zellen.
Das Ziel war es, nicht nur irgendeinen Wirkstoff zu finden, sondern einen, der die Immunaktivierung selektiv unter bestimmten biologischen Bedingungen verstärkt. Die KI sollte also lernen, den Kontext zu verstehen, in dem eine Behandlung erfolgreich sein könnte.
Die Ergebnisse dieser Analyse waren aufschlussreich. Das Modell schlug mehrere bereits bekannte Medikamente vor, aber etwa 10 bis 30 Prozent der identifizierten Substanzen waren völlig neue Kandidaten. Es handelte sich um Wirkstoffe, die bisher nicht mit Krebsimmuntherapie oder Immunmodulation in Verbindung gebracht wurden.
Die Entdeckung von Silmitasertib
Eine der bemerkenswertesten Vorhersagen betraf den Kinase-CK2-Inhibitor Silmitasertib (auch bekannt als CX-4945). Die KI prognostizierte, dass dieses Medikament die Antigenpräsentation stark erhöhen würde, aber nur unter einer bestimmten Bedingung: wenn bereits geringe Mengen an Interferon vorhanden sind. Interferone sind Proteine, die der Körper selbst als Teil der Immunantwort produziert.
Die Hypothese lautete, dass weder Silmitasertib allein noch eine niedrige Dosis Interferon allein eine nennenswerte Wirkung hätten. Erst die Kombination beider Substanzen würde eine starke Immunreaktion gegen die Tumorzellen auslösen.
Das KI-Modell C2S-Scale 27B analysierte über 4.000 Medikamente in einer groß angelegten Simulation, um gezielt nach Wirkstoffen zu suchen, die die Immunantwort unter spezifischen zellulären Bedingungen verbessern.
Bestätigung im Labor
Wissenschaftler der Yale University übernahmen die Aufgabe, die Hypothese der KI im Labor zu überprüfen. Sie führten Experimente an menschlichen neuroendokrinen Zellmodellen durch. Wichtig dabei ist, dass diese Zelltypen nicht Teil der Trainingsdaten des KI-Modells waren, was die Validität des Tests sicherstellt.
Die Ergebnisse bestätigten die Vorhersage des Modells präzise:
- Die Behandlung der Zellen nur mit Silmitasertib zeigte keine Veränderung.
- Eine alleinige Behandlung mit niedrig dosiertem Interferon hatte nur einen geringen Effekt.
- Die Kombination beider Substanzen führte jedoch zu einem Anstieg der Antigenpräsentation um 50 Prozent.
Diese Steigerung ist signifikant, da sie die Fähigkeit des Immunsystems, Krebszellen zu erkennen, entscheidend verbessern könnte. Die Entdeckung legt nahe, dass die KI nicht nur Daten verarbeitet, sondern auch komplexe biologische Zusammenhänge erkennen kann, bei denen der zelluläre Kontext über den Erfolg einer Behandlung entscheidet.
"Diese Entdeckung könnte einen vielversprechenden neuen Weg für die Entwicklung von Krebstherapien aufzeigen." - Sundar Pichai, CEO von Google
Ein neues Werkzeug für die Wissenschaft
Die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Google DeepMind und Yale zeigt eine Veränderung in der wissenschaftlichen Methodik. Anstelle traditioneller, oft langwieriger Versuch-und-Irrtum-Verfahren können große KI-Modelle als eine Art virtuelles Labor dienen. Sie können Tausende von Experimenten simulieren, um unbekannte Beziehungen zwischen Medikamenten, Zellen und Immunsignalen aufzudecken.
Die Forscher in Yale untersuchen nun den genauen Mechanismus, den die KI aufgedeckt hat, und testen weitere Vorhersagen des Systems. Der Erfolg von C2S-Scale 27B könnte den Weg für eine neue Ära der computergestützten Forschung ebnen, in der KI Hypothesen in einem noch nie dagewesenen Tempo generieren und zur Überprüfung vorschlagen kann.
Diese Methode bietet eine Strategie, um Tumore anzugehen, die gegen bestehende Immuntherapien resistent sind. Indem die KI hilft, "kalte" Tumore "heiß" zu machen, könnte sie dazu beitragen, die Wirksamkeit von Krebstherapien für eine größere Patientengruppe zu verbessern.





