In der medizinischen Forschung wurde ein unkonventioneller Ansatz zur Sauerstoffversorgung des Körpers erstmals erfolgreich auf seine Sicherheit bei Menschen getestet. Die als enterale Ventilation bekannte Methode, bei der Sauerstoff über den Darm aufgenommen wird, könnte in Zukunft eine lebensrettende Option für Patienten mit schwerem Lungenversagen werden.
Ein Forscherteam unter der Leitung von Dr. Takanori Takebe vom Cincinnati Children's Hospital Medical Center hat die Ergebnisse der ersten klinischen Studie am Menschen im Fachjournal Med veröffentlicht. Diese erste Phase konzentrierte sich ausschließlich darauf, die Sicherheit und Verträglichkeit des Verfahrens bei gesunden Freiwilligen zu überprüfen.
Die wichtigsten Erkenntnisse
- Die erste klinische Studie zur enteralen Ventilation am Menschen hat die Sicherheit des Verfahrens bestätigt.
- Teilnehmer konnten eine spezielle Flüssigkeit bis zu 60 Minuten lang rektal halten, ohne dass schwerwiegende Nebenwirkungen auftraten.
- Die Methode ist von Fischen inspiriert, die Sauerstoff über ihren Darm aufnehmen können.
- Zukünftige Studien werden die Wirksamkeit der Sauerstoffanreicherung im Blut untersuchen.
Ein unkonventioneller Ansatz für Notfälle
Die Idee klingt zunächst befremdlich und wurde 2024 sogar mit einem satirischen Ig-Nobelpreis ausgezeichnet: Menschen könnten im Notfall Sauerstoff über den Darm aufnehmen. Doch hinter diesem Konzept steckt ernsthafte Wissenschaft. Die enterale Ventilation soll Patienten helfen, deren Lungen durch Verletzungen, Entzündungen oder schwere Infektionen so stark geschädigt sind, dass eine normale Beatmung nicht mehr ausreicht.
Das Verfahren sieht vor, eine mit Sauerstoff angereicherte Perfluorcarbon-Flüssigkeit ähnlich einem Einlauf in den Darm zu leiten. Die Darmwand soll dann den Sauerstoff absorbieren und direkt in den Blutkreislauf abgeben. So könnte der Körper mit lebenswichtigem Sauerstoff versorgt werden, auch wenn die Lungen versagen.
Inspiration aus der Natur
Die Inspiration für diese Methode stammt aus dem Tierreich. Bestimmte Fische, wie der Schlammpeitzger, können in sauerstoffarmen Gewässern überleben, indem sie an der Oberfläche Luft schlucken und den Sauerstoff über ihren Darm aufnehmen. Dieses natürliche Vorbild brachte die Forscher auf die Idee, einen ähnlichen Mechanismus für den Menschen zu entwickeln.
Erste Studie am Menschen zeigt Sicherheit
Die nun veröffentlichte Studie wurde mit 27 gesunden männlichen Freiwilligen in Japan durchgeführt. Ziel war es, die grundlegende Sicherheit und Verträglichkeit zu testen, bevor die Wirksamkeit untersucht wird. Den Teilnehmern wurde eine Perfluorcarbon-Flüssigkeit verabreicht, die in diesem ersten Schritt jedoch noch nicht mit Sauerstoff angereichert war.
Die Probanden wurden gebeten, unterschiedliche Mengen der Flüssigkeit – bis zu 1.500 Milliliter – für eine Dauer von 60 Minuten zu halten. Die Ergebnisse waren vielversprechend: 20 der 27 Teilnehmer konnten die Flüssigkeit über die volle Stunde halten. Es wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse gemeldet.
Studiendetails im Überblick
- Teilnehmer: 27 gesunde Männer
- Verfahren: Rektale Verabreichung einer nicht-oxygenierten Perfluorcarbon-Flüssigkeit
- Dauer: 60 Minuten
- Ergebnis: Keine schwerwiegenden Nebenwirkungen. Bei den größten Volumina traten leichte Blähungen und Unwohlsein auf.
„Dies sind die ersten Daten am Menschen, und die Ergebnisse beschränken sich ausschließlich auf den Nachweis der Sicherheit des Verfahrens und nicht auf seine Wirksamkeit“, erklärt Studienleiter Dr. Takanori Takebe. Bei den größten verabreichten Mengen berichteten einige Teilnehmer über ein Völlegefühl und leichtes Unbehagen, was angesichts des Volumens zu erwarten war.
„Nachdem wir nun die Verträglichkeit nachgewiesen haben, wird der nächste Schritt darin bestehen, zu untersuchen, wie effektiv der Prozess bei der Zufuhr von Sauerstoff in den Blutkreislauf ist.“ – Dr. Takanori Takebe
Die nächsten Schritte und das Potenzial der Methode
Mit dem Nachweis der Sicherheit ist ein entscheidender Meilenstein erreicht. Das Forschungsteam plant nun die nächste Phase der klinischen Studien. In diesen soll die Flüssigkeit mit Sauerstoff angereichert werden, um zu messen, wie viel davon über welchen Zeitraum benötigt wird, um den Sauerstoffgehalt im Blut von Patienten effektiv zu erhöhen.
Dr. Takebe, der zur Kommerzialisierung der Technologie das Unternehmen EVA Therapeutics gegründet hat, sieht großes Potenzial. Sollte sich die enterale Ventilation als wirksam erweisen, könnte sie eine relativ einfache und technisch unkomplizierte Methode darstellen, um in Krankenhäusern das Leben von Patienten in kritischen Situationen zu retten.
Ein besonderer Fokus der zukünftigen Entwicklung liegt auf der Anwendung in der Neugeborenenmedizin. Frühgeborene mit unterentwickelten Lungen könnten von dieser schonenden Form der Sauerstoffversorgung erheblich profitieren. Der Zeitplan für die weiteren Studien hängt laut den Forschern nun maßgeblich von der Sicherung der Finanzierung ab.





