In der Schweiz arbeiten Wissenschaftler an einer neuen Computertechnologie, die menschliche Gehirnzellen nutzt. Das Schweizer Start-up FinalSpark züchtet kleine Gehirn-Organoide, um die enormen Energiekosten der Künstlichen Intelligenz zu senken. Diese „Wetware“ könnte die Funktionsweise von Computern grundlegend verändern.
Das Ziel ist es, die natürliche Effizienz des menschlichen Gehirns zu nutzen. Anstatt Neuronen mit Siliziumchips zu simulieren, wie es bei aktuellen KI-Modellen der Fall ist, setzt das Unternehmen auf echte, lebende Nervenzellen. Dies könnte den Energieverbrauch drastisch reduzieren und neue Wege in der Datenverarbeitung eröffnen.
Wichtige Erkenntnisse
- Das Schweizer Unternehmen FinalSpark entwickelt Bioprozessoren aus menschlichen Gehirn-Organoiden.
- Diese Technologie, „Wetware“ genannt, soll den extrem hohen Energieverbrauch von KI-Systemen reduzieren.
- Biologische Neuronen sind laut Forschern bis zu eine Million Mal energieeffizienter als künstliche Neuronen.
- Die Organoide bestehen aus etwa 10.000 Neuronen und haben eine Lebensdauer von bis zu sechs Monaten.
- Trotz des Fortschritts steht die Technologie noch am Anfang und wirft ethische Fragen auf.
Ein neuer Ansatz für die Datenverarbeitung
Die rapide Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, wie sie hinter Systemen wie ChatGPT steht, erfordert riesige Mengen an Rechenleistung. Diese wird von Supercomputern erbracht, deren Silizium-Halbleiter das neuronale Netzwerk des menschlichen Gehirns nachahmen. Dieser Prozess ist jedoch extrem energieintensiv.
Fred Jordan, Mitbegründer von FinalSpark, erklärt den Ansatz seines Unternehmens: „Anstatt zu versuchen, das Gehirn zu imitieren, nutzen wir das Original.“ Die Idee ist, die evolutionär optimierte Rechenleistung biologischer Neuronen direkt zu verwenden.
Enorme Energieeffizienz
Ein zentrales Argument für das Biocomputing ist der Energieverbrauch. Laut Jordan sind biologische Neuronen bis zu eine Million Mal energieeffizienter als ihre künstlichen Gegenstücke in Siliziumchips. Diese Effizienz könnte helfen, die Klimaziele zu erreichen, die durch den steigenden Energiebedarf der KI-Branche gefährdet sind.
Wie funktionieren die biologischen Prozessoren?
Die Herstellung der sogenannten Bioprozessoren ist ein mehrstufiger Prozess, der im Labor von FinalSpark in Vevey, Schweiz, stattfindet. Alles beginnt mit menschlichen Stammzellen, die ursprünglich aus Hautzellen anonymer Spender gewonnen wurden.
Vom Stammzell-Cluster zum Mini-Gehirn
Die Wissenschaftler von FinalSpark wandeln diese Stammzellen in Neuronen um. Diese Nervenzellen werden dann zu millimetergroßen Clustern zusammengefügt, die als Gehirn-Organoide bezeichnet werden. Jedes dieser Organoide enthält etwa 10.000 Neuronen.
Größenvergleich
Ein Gehirn-Organoid von FinalSpark hat eine ähnliche Neuronenzahl wie das Gehirn einer Fruchtfliegenlarve. Zum Vergleich: Das menschliche Gehirn verfügt über rund 100 Milliarden Neuronen. Die aktuellen Systeme sind also winzig und weit von der Komplexität eines menschlichen Gehirns entfernt.
Um mit den Organoiden zu kommunizieren, werden Elektroden angebracht. Diese ermöglichen es den Forschern, die interne Aktivität der Zellen zu beobachten und sie mit kleinen elektrischen Impulsen zu stimulieren. Die Reaktion der Zellen – ein Anstieg der Aktivität oder Stille – wird als binärer Code interpretiert, ähnlich den Nullen und Einsen in der traditionellen Informatik.
Aktuelle Forschung und Herausforderungen
FinalSpark stellt seine Technologie bereits zehn Universitäten weltweit für Forschungszwecke zur Verfügung. Die Experimente zeigen sowohl das Potenzial als auch die Hürden der Wetware-Technologie.
Ein Beispiel ist die Arbeit von Benjamin Ward-Cherrier an der Universität Bristol. Er nutzte ein Organoid als Gehirn für einen einfachen Roboter, der erfolgreich lernte, verschiedene Blindenschrift-Buchstaben zu unterscheiden. Dies zeigt, dass die Organoide in der Lage sind, Informationen zu verarbeiten und einfache Aufgaben zu erlernen.
„Es gibt auch die Tatsache, dass es sich um lebende Zellen handelt – und das bedeutet, dass sie sterben“, erklärte Ward-Cherrier. Sein Team musste ein Experiment neu starten, nachdem das verwendete Organoid mitten im Versuch starb.
Die Lebensdauer der Organoide ist eine der größten Herausforderungen. FinalSpark gibt an, dass sie bis zu sechs Monate überleben können. Weitere Schwierigkeiten sind die Kodierung der Daten, damit die Zellen sie verstehen, und die Interpretation der von ihnen erzeugten Signale.
Ethische Fragen und die Zukunft des Biocomputings
Die Forschung mit menschlichen Gehirnzellen wirft unweigerlich ethische Fragen auf, insbesondere die nach einem möglichen Bewusstsein. Könnten diese kleinen Zellhaufen in einer Petrischale eine Form von Bewusstsein entwickeln?
Alle befragten Wissenschaftler halten dieses Risiko bei der aktuellen Technologie für vernachlässigbar. Die Organoide sind extrem klein, besitzen keine Schmerzrezeptoren und sind nicht in einen Körper integriert, der ihnen Sinneseindrücke vermitteln könnte. Fred Jordan betont, dass FinalSpark eng mit Ethikern zusammenarbeitet, um diese Fragen verantwortungsvoll zu behandeln.
Lena Smirnova von der Johns Hopkins University in den USA nutzt ähnliche Organoide, um Krankheiten wie Autismus und Alzheimer zu erforschen. Sie sieht das Biocomputing derzeit eher als Zukunftsmusik, während die biomedizinische Forschung bereits konkrete Ergebnisse liefert. Sie schätzt jedoch, dass sich dies in den nächsten 20 Jahren dramatisch ändern könnte.
Ein ungelöstes Rätsel im Labor von FinalSpark unterstreicht, wie wenig wir noch über die Funktionsweise dieser neuronalen Netzwerke wissen. Immer wenn die Tür des Inkubators geöffnet wird, in dem 16 Organoide untergebracht sind, zeigen die Monitore einen deutlichen Anstieg der neuronalen Aktivität. „Wir verstehen immer noch nicht, wie sie das Öffnen der Tür wahrnehmen“, gibt Jordan zu. Diese Beobachtung zeigt, dass die Reise in die Welt des Biocomputings gerade erst begonnen hat.





