Neue Vorschriften in China könnten das Design moderner Autotürgriffe grundlegend verändern. Geplante Regeln zielen auf die Abschaffung von bündig in der Karosserie versenkten Griffen ab und fordern stattdessen mechanische Notsysteme. Dies stellt Hersteller wie Tesla, die auf elektronische, ausfahrbare Griffe setzen, vor erhebliche Herausforderungen.
Die vorgeschlagenen Änderungen, die bereits Mitte 2027 in Kraft treten könnten, reagieren auf Sicherheitsbedenken, die in den USA bereits zu Untersuchungen und Klagen geführt haben. Der chinesische Markt ist der größte der Welt, weshalb diese Regulierung globale Auswirkungen haben könnte.
Wichtige Fakten
- China plant, bündig abschließende Autotürgriffe zu verbieten und mechanische Notöffnungen vorzuschreiben.
- Die neuen Regeln könnten bereits Mitte 2027 in Kraft treten, was die Entwicklungszyklen der Hersteller unter Druck setzt.
- Hersteller wie Tesla, General Motors und Mercedes-Benz sind von den Änderungen betroffen.
- Die US-Behörde NHTSA untersucht bereits Tesla-Türgriffe nach über 140 Beschwerden über Funktionsstörungen.
- Die Neugestaltung der Griffe ist technisch komplex und kostspielig, da der Platz in den Türen begrenzt ist.
Neue Sicherheitsstandards aus Peking
Das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnologie hat einen Regelentwurf veröffentlicht, der die Automobilindustrie weltweit beeinflussen könnte. Kern des Vorschlags ist die Anforderung, dass alle Fahrzeuge mit mechanischen Türgriffen ausgestattet sein müssen, die sowohl von innen als auch von außen nach einem Unfall ohne Werkzeug bedienbar sind.
Besonders brisant ist die Formulierung, die bündig abschließende, sogenannte „Flush“-Türgriffe praktisch verbietet. Zukünftig soll hinter dem Griff genügend Platz für eine Hand sein, um ein sicheres Greifen zu ermöglichen. Diese Design-Vorgabe steht im direkten Widerspruch zum aktuellen Trend bei vielen Elektrofahrzeugen, wo glatte Oberflächen die Aerodynamik verbessern sollen.
Die Frist für Kommentare zu dem Entwurf endet Ende November, eine endgültige Verabschiedung wird kurz danach erwartet. Sollten die Regeln wie vorgeschlagen umgesetzt werden, müssten Autohersteller ihre Modelle für den chinesischen Markt bis Mitte 2027 anpassen. Angesichts der mehrjährigen Entwicklungszyklen für neue Fahrzeuge ist dies ein sehr knapper Zeitrahmen.
Wachsende Sicherheitsbedenken in den USA
Die chinesische Initiative kommt nicht überraschend. In den Vereinigten Staaten gibt es bereits seit Längerem eine Debatte über die Sicherheit elektronischer Türgriffe. Die National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) leitete im September eine Untersuchung zu den Türgriffen des Tesla Model Y (Baujahr 2021) ein.
Mehr als 140 Beschwerden
Laut einem Bloomberg-Bericht gingen bei der NHTSA über 140 Beschwerden von Verbrauchern ein. Fahrer berichteten, dass die Griffe klemmten oder nicht funktionierten, insbesondere bei einem Ausfall der Niedervoltbatterie des Fahrzeugs. In mindestens vier Fällen mussten Besitzer eine Scheibe einschlagen, um wieder in ihr Fahrzeug zu gelangen.
Besonders besorgniserregend sind Berichte von Eltern, deren Kinder im Fahrzeug eingeschlossen waren, weil sie die mechanischen Notentriegelungen im Fond nicht finden oder bedienen konnten. Als Reaktion auf die Untersuchung und den öffentlichen Druck hat Tesla bereits zugesagt, das Design der Griffe zu überarbeiten.
Zusätzlich wurde eine Klage gegen Tesla eingereicht, nachdem zwei Teenager bei einem Unfall in einem brennenden Cybertruck ums Leben kamen. Die Kläger werfen dem Unternehmen vor, von den Problemen bei der manuellen Türöffnung gewusst zu haben.
Die Herausforderung der Neugestaltung
Die Umstellung von bündigen elektronischen auf traditionelle mechanische Griffe ist komplexer, als es scheint. „Es gibt ein Platzproblem im Türraum“, erklärt Amy Broglin-Peterson, die an der Michigan State University Supply Chain Management lehrt und die Automobilindustrie berät. In einer modernen Autotür konkurrieren Elektronik, Dämmung, Lautsprecher und Verkabelungen um jeden Millimeter.
„Jede Designänderung wirkt sich auf andere Komponenten aus“, so Broglin-Peterson. „Eine mechanische Entriegelung erfordert eine mechanische Baugruppe. Das ist nicht etwas, das man einfach mit ein paar Zeilen Code löst.“
Eine kurzfristige Designänderung kann den gesamten Produktionszeitplan eines Fahrzeugs durcheinanderbringen. Die Automobilfertigung ist ein präzise getakteter Prozess, bei dem neue Komponenten monatelang validiert und getestet werden. Ein unvorhergesehener Eingriff in diesen Prozess kann zu erheblichen Verzögerungen und Kosten führen.
Vom Konzeptauto zur Serienproduktion
Bündige Türgriffe galten lange als Merkmal von futuristischen Konzeptfahrzeugen. Raphael Zammit, Leiter der Abteilung für Transportdesign am College for Creative Studies in Detroit, bezeichnete es als „ziemlich erstaunlich“, dass Tesla dieses Design in die Serienproduktion brachte. Ursprünglich sollten die versenkbaren Griffe den Luftwiderstand reduzieren und so die Reichweite von Elektroautos um wenige Kilometer erhöhen. Inzwischen sind sie jedoch vor allem ein Statussymbol für Luxus und modernes Design geworden.
Globale Auswirkungen und Reaktionen der Hersteller
Da China der größte Automobilmarkt der Welt ist und bis 2030 voraussichtlich ein Drittel aller Autos weltweit produzieren wird, haben dortige Regulierungen oft globale Signalwirkung. Bill Russo, CEO der Beratungsfirma Automobility in Shanghai, sieht darin ein bekanntes Muster.
„Dies ist ein klassisches Beispiel dafür, wie China frühzeitig die Leitplanken setzt: Verbraucher schützen und gleichzeitig leise globale Designstandards prägen“, schrieb Russo in einer E-Mail. Das Land hat bereits bei der Sicherheit von E-Auto-Batterien und der Regulierung für autonomes Fahren weltweit Maßstäbe gesetzt.
Die betroffenen Automobilhersteller reagieren bisher zurückhaltend.
- General Motors: Ein Sprecher erklärte, man prüfe den Entwurf und gebe technisches Feedback. Über Auswirkungen auf das Fahrzeugportfolio könne man erst nach der Finalisierung der Regeln sprechen.
- Mercedes-Benz: Eine Sprecherin betonte, dass die Türgriffe ihrer Fahrzeuge bei einem vom Airbag-System erkannten Unfall automatisch ausfahren. Man beobachte das Thema genau und werde sich bei Bedarf anpassen.
- Rivian: Der US-Hersteller verkauft zwar keine Fahrzeuge in China, soll aber Berichten zufolge ebenfalls die bündigen Griffe seiner nächsten Fahrzeuggeneration überarbeiten. Das Unternehmen kommentierte dies nicht direkt, versicherte aber, dass alle Fahrzeuge die Sicherheitsstandards erfüllen oder übertreffen.
Interessanterweise äußerte sich VW-Chef Thomas Schäfer bereits im Vormonat kritisch gegenüber dem Branchentrend. Gegenüber der DW News sagte er, Kunden wünschten sich mechanische Knöpfe und Griffe, die einfach zu bedienen seien. „Diese bündigen Türgriffe sind zwar schick, aber schrecklich in der Handhabung“, so Schäfer. „Wir haben definitiv richtige Türgriffe an den Autos, und die Kunden wissen das zu schätzen.“
Die Suche nach der intuitiven Lösung
Experten wie Jake Fisher vom Auto-Testzentrum der US-Organisation Consumer Reports weisen darauf hin, dass die beste Notentriegelung diejenige ist, die intuitiv funktioniert. Tests zeigten, dass einige mechanische Notöffnungen an schwer zugänglichen Stellen platziert sind. Am besten seien Systeme, bei denen der normale Griff im Notfall einfach kräftiger gezogen werden muss.
Diese Logik scheint sich auch bei Tesla durchzusetzen. Chefdesigner Franz von Holzhausen erklärte gegenüber Bloomberg News, dass die Kombination aus elektronischem und mechanischem Mechanismus in einem einzigen Griff „sehr viel Sinn“ ergebe. „Es hilft dem Muskelgedächtnis, nach etwas zu greifen, das jeden Tag da ist, sodass man im Notfall intuitiv dasselbe tut.“
Die neuen chinesischen Vorschriften könnten die Branche nun dazu zwingen, Design nicht nur unter ästhetischen und aerodynamischen Gesichtspunkten zu betrachten, sondern die einfache und sichere Bedienung im Notfall wieder in den Vordergrund zu stellen.





